Einstellungsbescheide

“Zwar hatte der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt offenbar erkannt, dass Sie, wie er es ausdrückte, tatsächlich “keine Lust” hatten, jedoch musste er daraus nicht den Schluss ziehen, dass Sie keinerlei weitere sexuelle Handlungen mehr dulden wollten.”

Rape culture. Wenn durch Gerichtsentscheide bestätigt wird, dass Frauenkörper für Sex zur Verfügung stehen. Dass Frauen Sex zu erdulden haben. Wow. Es wundert mich nicht, dass Vergewaltigung in der Ehe erst 1997 strafbar wurde. Es wundert mich gerade, dass es überhaupt strafbar wurde.

Heute ist nicht mal vorbei.

This day has it all. In die Decke kreischen und heulen, weil ich ein Papiertaschentuch nicht aus der Packung bekomme, das ich brauche, um mir die Heulnase zu schneuzen, die ich habe, weil mein Körper überall so juckt und fitzelt. In der S-Bahn-Station nicht die Arme einziehen, als jemand mit Tasche voll im Weg steht, sondern mit Absicht dagegenrempeln. Righteous anger, es ist 7.40 Uhr und ich bin nach dreieinhalb Stunden Schlaf auf dem Weg zur städtischen Pietät. Don’t fuck with me, seriously. Und macht mir besser einen Sitzplatz frei, sonst guck ich passiv-agressiv durch die Bahn und geb euch die gleiche schlechte Laune. (Effektivität = 0. Sollte mehr starren.)
Sitze dem Sachbearbeiter gegenüber und lasse mich ein wenig davon amüsieren, dass er klingt, wie der Saarbrückentatortpathologe, während er die Mindestkosten einer Säuglingsbestattung auflistet. Ich sage „krass“, 1000€ sind viel Geld für ein Kind, das nur auf die Welt kommt, um in Elternarmen zu sterben. Mein Ärger wird müde, auch weil ich husten muss, ganz schlimm husten, von nix, wie Staub verschluckt, und ich erinnere mich, dass ich schon mal Aschenstaub eines Menschen verschluckt habe, aber ob mich das zum Husten brachte – Spekulation.
Wir gehen in einen Nebenraum, da sind Urnen und Särge ausgestellt. Große Särge im Regal, ich denk „ja, das ist ein Sarg“ und „soso“. Auf der Friedwaldurne sind zwei Gingkoblätter drauf, das geht klar. Schwenk rüber zu den Babysärgen. Heilige Scheiße. Ich las schon, dass andere babylost parents erstaunt waren, wie klein diese Särge sind, ich weiß, dass so ein Sarg klein ist, und erschrecke trotzdem. Pappschachteln, 50 und 60 Zentimeter groß, in rauem Pappton oder glänzendem Weiß. Ich sage „Alter, ist das bizarr!“, der Sachbearbeiter bietet eine Pause an, ich stelle die Fragen, die ich habe, will aber viel lieber lauter zynische Kommentare raushauen. (190€ für die Überführung, denn Tote dürfen nur von Bestatter_innen transportiert werden und die sind in der Regel zu zweit. Besser so, nicht, dass sie sich an dem Sarg noch verheben. Ha. ha.) Während wir Details und Vorgehensweise zu Einäscherung und Beisetzung erklärt bekommen, flattern Füßchen an meinem Becken rum.
Heimweg, die Freude über ein richtig gutes Brötchen, ein Brötchen, das gut ist, weil das Brotmaterial daran gut ist. Diese erstaunliche Anstrengung beim Gehen und Stehen, jetzt tun nicht mehr die Füße weh, es zieht im Rücken und drückt auf die Scheide. Wollekauf in einem richtigen Wolleladen, ich trage eine weiche 25g-Kugel Pistazieneis heim, daraus will ich keimende Sprossen stricken. Daheim vergleiche ich die Pietätskostenberechnung einer meiner Mütter mit meiner Erinnerung vom Vormittag (war billiger damals), bin bitter, aber fühle mich okay damit. The sadz suck, being bitter is better. Auf der Friedwald-Internetseite will ich schauen, wie das mit den Sternschnuppenbäumen funktioniert und muss da doch weinen. Dann lese ich, dass die Urnen biologisch abbaubar sind, denke „cool!“ und bin so beeindruckt, dass ich dem Material Arboform Fist Bumps geben möchte. Mir ist warm und leicht, ich bin distanziert und empört, ich lache über das hier, lache sogar über so flache Youtube-Kommentare wie „Thom Bjork“, freue mich an dieser Sendung, mit Klatschen und offenem Mund, will was kaputtmachen und schimpfen, bin untendrunter kribbelmüde. Alles so nah beieinander; ich staune sehr darüber, wie viel feines Gefühl in eine Grundhaltung von Bitterkeit und Verärgerung eingefädelt ist.