9.1.

Immer fast mit der neuen Wohnung fertig. Es fehlt eigentlich nur ein Stückchen Wand im Flur, seit Tagen, denke ich, und dann wird zwischendurch ja auch noch tapeziert und das Schlafzimmer gestrichen, und das Wohnzimmer soll ja eigentlich auch noch mal, aber dann, bestimmt. Das Stückchen Wand streiche ich mit Magnetfarbe und Tafelfarbe, und es ist vor allem ein Prozess. Erst viele Schichten auftragen, dann viele Schichten mit Sandpapier runterschleifen, bis die Wand uneben aber weich ist. Und heute Nacht der Lack, der noch nicht deckt. Zwischendurch liege ich in der trockenen Badewanne Probe, stehe rum und denke nach.

Ich habe gesagt, dass ich in dieser Wohnung 30 Jahre bleiben will. Weil ich gut 30 Jahre in der alten Wohnung war. Ich will so lange bleiben, dass ich nicht ausziehen muss und nicht mit Maschinen und Mundschutz die Metallfarbe von der Wand schleifen muss, weil ich nicht darunter tapezieren wollte. Ich will so lange bleiben, aus Prinzip, und weil Umziehen unangenehm ist und es ist ja auch eine gute Wohnung. Und dann habe ich gerechnet. In 30 Jahren bin ich 62. Ich kann mir mich nicht mit 62 vorstellen. Ich kann mir die Welt nicht 2050 vorstellen. Ich kann nicht so weit springen.

Stattdessen sitze ich auf dem geschlossenen Deckel des Gästeklos und versuche mit vorzustellen, wie viel in 30 Jahren steckt. Wie alt meine Kinder sein werden, vielleicht Enkel. Ich finde das nicht romantisch. Es gruselt mich. Wer nicht mehr leben wird, vielleicht oder definitiv und wenn ich nicht darunter bin, dass ich da dann durch muss. Das Leben und das Sterben, das in den letzten 30 Jahren Wohnung steckt. Wie seltsam das ist, und unheimlich. Und ich muss an Freuds Essay über das Unheimliche denken, und wie das mit dem Heim und dem Heimlichen zusammenhängt, aber es ist auch schon wieder 12 Jahre her, dass ich den gelesen habe und so genau weiß ich es auch nicht mehr,

4.1.

„Ich hab Halsweh vom Schreien“, sage ich.

„Das kenn ich“, sagt das große Kind.

„Ja, woher denn?“

„Na, wenn ich schreie, weil ich sauer bin, dann hab ich auch Halsweh “ sagt das große Kind und ich denke, ja, genau.

3.1.

Im Liegen schreiben. Mehr Vorsatz als Durchführung, eine Idee, die nicht weniger quatschig wird, je öfter ich ihr nachhänge. Im Liegen schreiben wie: ich nehm die Hausaufgaben einfach mit ins Bett und mach da weiter. As if, darling, as if.

Zu müde und kalt gewesen, um darauf zu warten, dass ein Computerspiel aktualisiert, das ich wegen Hausaufgaben und Hausarbeiten nie gespielt habe und natürlich habe ich auch jetzt keine Zeit, aber ich rede mir ein, dass es nützlich ist: Ich will mit dem Grundriss, den ich für die Wohnung skizziert habe, ein Haus bei den Sims bauen, das einrichten, streichen, tapezieren, mit weniger Mühe als in echt, nur, um mal zu gucken und dann alles wieder neu und anders. Aber es lädt, wie gesagt, und ich muss ins Liegen, schreibend oder nicht.

(Mit den Vorsätzen ähnlich laissez-faire wie mit den Hausaufgaben, so lange ich liege geht das klar.)

beyond

Ich bin nicht sicher, ob die Dekade bei 0 oder 1 beginnt. Ich weiß noch nicht, was ich mit ihr will. Im Kalender sind Jahresbeginne so klar markiert, und im Alltag ist Neujahr auch nur ein Tag nach einem anderen vor einem anderen. Ich habe fünf Kalender, drei zum Aufhängen, zwei für die Tasche. In keinem steht schon etwas drin. Einer hängt, in der neuen Wonung, wo ich nur zum Streichen bin, an einer Tür, die noch ausgetauscht werden muss. Einer liegt daneben, ich muss die Wand streichen, ehe ich ihn aufhöngen kann. In der alten Wohnung ist es wie im alten Jahr, ich habe noch nicht umgeblättert, der Tag zieht trotzdem vorbei.

Ich hänge an Neuanfängen, aber hänge mich nicht so tief rein in Anfang und Selbstoptimierung dieses Jahr. Statt mit Mühe und einem Neujahrsschwung Produktivität anschubsen zu wollen, ist mein Vorsatz für den Januar einen Termin auszumachen, um rauszufinden, ob an meiner Verzettelung mehr dran ist, ob ich anders angeschubst werden kann. Heute im Wellenbad gewesen und es ist auch so: man bekommt weniger Wasser in die Nase, wenn man mit den Wellen geht, statt sich ihnen beweisen zu wollen. Trotzdem Pläne, Verschönerungen:

 

für diesen Januar, täglich –

• wieder Yoga with Adriene, heuer unter dem Motto „Home“ und es spricht mich so an, aus Gründen

• jeden Tag hier schreiben

• in den Kalender zeichnen, alle Kalender vollmachen, ich hänge hinterher, aber es macht nichts

• jede Woche ein Buch lesen

• Stück für Stück umziehen, mit allem, Abschiednehmen, von allem

• mehr teilen, offen

 

Und fürs Jahr, vage –

• Instrumentalunterricht für das große Kind, mit dem großen Kind. Ein Cello leihen, vielleicht, in meiner und seiner Größe

• mit dem Schiff nach New York, dafür weiter sparen (mir etwas ausdenken, wie ich zwei Wochen ohne Internet verbringe)

• Seminare abschließen, Hausarbeiten schreiben, mit Mut

• ein Kind einschulen und klarkommen

• ein Bachelorarbeitsthema finden

• Gedichte schreiben, nicht nur für Credit Points (aber die ein gefälliger Anlass)

• Freundinnen treffen in Wien, Berlin, Hamburg, Paris

• ein Tattoo, endlich

• Absagen sammeln, vielleicht eine Zusage darunter auflesen, jedenfalls immer raus mit dem Content und den guten Absichten, immer raus damit, immer raus

– ins Jahr.