Es wären theologische Überlegungen, bestimmt, könnte ich Bibelstellen rausfischen. Ich finde in den elterlichen Schränken keine Bibel, nur ein Büchlein, in das die eine Großmutter mit Kuli ihren Namen geschrieben hat. Es sind „Kleinode göttlicher Verheißungen“. Das ist interessant, aber es hilft nicht. Zitate, die nicht immer schön ausgelegt sind. („In Gottes Haushalt herrscht Zucht.“) Ein gutes Blätterbuch wäre nett, aber dieser Haushalt ist konfessionslos, hier liegen andere Sachen rum. Die Erfahrungen aus allen Religionsunterrichten sind vages Nachschlagewerk.
Also WWJD in naiv: Na, wenn die Oberschlauen gesagt haben, am Wochenende darfst du nicht arbeiten (= Menschen helfen) und nicht viel gehen und überhaupt, dann hat Jesus sich nicht daran gehalten, sondern gezeigt, dass gute Taten größer sind als Gesetzgehorsam. Dass diese Gesetze nicht gottgemacht sind. So ungefähr.
Hier dann dieses alte Gesetz, dieses theoretische Gesetz, dass man nicht tanzen dürfe. Menschen, die sagen, wenn Tanzveranstaltungen stattfinden, werde ihr Glauben nicht respektiert.
Vierstelligviele unterschiedliche Menschen treffen sich am Brunnen, ich kenne keinen von ihnen. Glockenschlag, Kopfhörer im Ohr, go! Alle tanzen! Viele, die würden sonst nicht miteinander rumhängen. Wackelarme, alle lächeln sich an, feiern ihre Moves. Die Freude, dass jeder Mensch zu der Musik abgeht, die man selbst im Ohr hat. Es ist wirklich schön. Nach einer Viertelstunde schwitzen wir, Rotglühgesichter, Sonnenbrandtag, die beste Musik der Welt. Und eigentlich still, weil alle nur die eigene im Ohr haben.
Kann Tanzen verletzen? Wenn jemand trauert, diesen Tag nutzt, um an den Tod zu denken und darin nicht gestört sein will? Das Schlimme an der Kreuzgeschichte ist vielleicht nicht, dass Jesus sich hingab für Sünden, das war ja geplant, sondern, dass Menschen auf seinem Weg so gemein zu ihm waren, dass das bestimmt sehr wehtat vor dem Sterben und diesem Auferstehungsmoment. Vielleicht ist Karfreitag nur das Aufseufzen vor einer größten Freude. Das heute war kein Seufzen, es war ein Juchzen.
Ich weiß von Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben zu sterben, dass sie wollten, dass man feiere, ausgelassen sei. Kann man nicht richtig, man ist ja traurig, die Gestorbenen können nicht mittanzen. Bei Jesus geht allein der Kalender davon aus, dass er zurückkomme. Zwei Tage später schon. Oder: Der ist nie richtig weg für die, die glauben. Es ist vielleicht ein Phantomtrauern. Ein Reenactment. Vor dem Rathaus eine Prozession mit großem Holzkreuz, einer trug es auf der Schulter, an den Tanzenden vorbei. Kein Gegeneinander, eine Parallelität.
Kann Tanzen Hohn sein? Nicht gegen Religiöse, sondern gegen ein Gesetz, dass auch Nichtreligiöse zur Einhaltung von Religionsregeln zwingt. Ich bin keine Cubbesucherin, hab nix davon, wenn die auf sind. Aber ich wünsche mir, dass alle, die wollen, dürfen. Sowie keiner muss.
Und weitergedacht: Ich könnte mir keinen schöneren Gottesdienst ausdenken, als einer mit lauter zugewandten und in sich gekehrten Menschen, die vertrauen, die miteinander frei sind, die tanzen, die dabei lieben. Es war zu schön. </Kitschende>
(Und dann ist da noch die Sarrazin-Sache. So’n Sack. So’n Kack. Der Tag war doch so froh.)