Lesung Nr. 5

Letztes Jahr im Juni, die erste Stadtbüchereienlesung. Da war ein Moderator (überregionale Lokalzeitung) und schwitzte arg und war nervöser als wir. Gab Tipps, die raten machten, dass er nicht darauf vertraute, dass ich das könnte. Gab sie nur mir. („Du musst langsam lesen, ja, weil dein Text anders ist. Immer dran denken: langsam lesen. Und deutlich. Ja?“)

Rückblick Preisverleihung. Er spricht mich an, macht mir Komplimente, er sitzt ja auch in der Jury, gibt mir seine Karte, ist ganz beeindruckt. Bis klar wird, dass er mich mit dem Mädchen verwechselt, das sich den Preis mit mir teilt. („Ja, Sie sind ja auch eine der Jüngsten hier.“ „Hm, wirklich? Ich bin bestimmt die Älteste; ich bin fast 22.“ „Sind Sie nicht…?“ „Ähm, nein.“)

Die ersten lasen und das Mikrophon kipprutschte dabei mit dem Ständer auf das Pult. Jeder Versuch, es zu richten, bewegte sich den Lesenden entgegen. Als ich dran war, bekam ich es in die Hand. Das ging gut. So wurde ein Sprechstück draus, mit Gesten und Blick ins Publikum. Runtergefetzt.

Rückblick Preisverleihung: Meine Deutschlehrerin ist auch da. Ich freue mich sehr. Keine von uns weiß, was ich bekomme, sie weiß nicht mal, dass ich was bekomme. Immerhin ist Katharina Hacker da. Ihre ehemalige Schülerin. Wegen der ist sie hier, die sitzt in der Jury. „Komm, ich stell dir mal Katharina Hacker vor.“ Dann schütteln wir Hände. Ich bin schüchtern und lächle, weil ich nichts zu sagen weiß. Es geht hier nicht um mich.

Auf den Leseteil folgte ein kleines Interview im Sitzen. Ich fühlte mich sowas von inyourface, dass ich gelassen genug war, Wasser in mein Glas zu füllen und zu trinken, während er seine Frage formulierte. Es ging um Europa, da war sogar Platz für eine politische Aussage; ich hab sie nicht verkackt. Auch das Lesen nicht: er lobte.

Noch ein Rückblick: Die Schnittchen sind super. Rathausfingerfood. Und die Weinausschenkerin fragt mich nach meinem Alter. Wo man für Wein doch bloß 16 sein muss. Noch mehr Häppchen. Und Freunde, mit denen man die Überraschung des Abends betrinkt.

In seiner Abschlussrede ging der Moderator erneut auf die „sehr gut vorgetragenen“ Texte ein und schenkte mir ein wir-wollen-ja-niemanden-angucken-Lächeln. Statt Blumen („halten nicht lange“) bekamen wir Schokolade, auf die Miniteddies geklebt waren (hält wieviel länger?). Der Raum war zu gut bestuhlt, nur wenige saßen da. Ein paar Eltern, jeweils zwei, drei Freunde, einige andere Interessierte. (Meine Deutschlehrerin nicht.) Am gleichen Abend eröffnete Uwe Timm seine Frankfurter Poetikvorlesungen in der Uni.
Das hätte ich auch ganz gerne gesehen.

diverse lyrics

(eine Hildesheimer Gemeinschaftsproduktion)

Riots im Candy-Land

Fistelstimme
flüstert leise
da Kamillengebäck schneite
werden Schirme aufgespannt und
angezündet.

Weltmoralformel

Sahnehäubchen
sähen selten
was sie bekommen
wusste der liebe Gott.
Besserwisser!

Schaulustige am Brückentag

Speichenwald
beim Räderhügel
wo Gehenkte schaukeln
ist der Chillfaktor genug
durchökonomisiert?

Diversozietät

Holzwürmer
Bolzenschuss und
wild gewordene Punker
der vornehmen Gesellschaft Trugschluss
Moral!

Chemie hilft da auch nicht mehr

(Atom-Ode-L)
für die
bluesverdächtigen Mütter der
Apokalypse. Aber das waren
Peanuts

Wünsche, zu schieben in ein wenn-ich-mal-viel-Geld-habe

(Symbolfoto)

Das erste Mal auf dem hauseigenen Fensterzwischen(zimmerundwelt)raum sitzen. Die Arbeit in einen Morgen verschoben, in dem man sich stattdessen bloß windbestreicheln lässt. Die Sonne lauert noch hinter den Häusern. Da soll sie bleiben, ’s ist grad so angenehm und sie arg aufdringlich bei ihren Besuchen. Die nackten Füße hängen vom Sims, Segelrock darüber, es fehlt bloß eine Zigarette in der Hand. Wenn sie denn schmeckte. Merken: Mal nachgucken, ob’s Einsteigersets für Pfeife auf Ebay gibt, und was sowas so kostet. Weiter Füße in die Luft halten, weil ein Balkonboden fehlt. Wunschketten gehen so: Eine Wohnung mit Balkon und Badewanne. Hell und weiß. Eine Einbauküche. Essen kaufen, frisch und nicht aus Plastiktüten. (Kochen können. Kochen können, weil man eine Küche hat.) Alter Parkettboden. In den man einen Cellostachel rammen könnte. Denn ich will wieder Cello spielen. Es soll nach Holz duften. Dann Ballet. Weil ich mit krummem Rücken auf diesem Sims hocke, immer in einen Halbkreis versackt. Oder die Beine breit und den Rücken von selbst gerade, weil sich die Brust an den Cellorücken lsehnt. Warm spielen, dass es knistert. Auch Platz in den Räumen, und Zeit. Selbstgenähte Empire-Kleider, aus leichtem Gewebe und Gedichte schreiben wie Emily Dickinson. Ordentlich verkitschen, wegen allerlei angeschlepptem Gerümpel und Geschirr, später alles ins Offene und Weite leerräumen. Bis Winter wird und man sich an den brennenden Streichholzbrettern die Finger wärmt.