von Gewicht

Im vorletzten Januar sitze ich viel in meinem Zimmer, friere, warte darauf, dass der Winter vorbeigeht. Spitzengardinen und eine Erkenntnis in meiner Hand, die sich als Entschluss tarnt. Ich will nicht mehr abnehmen. Einfach so. Ich will den Körper, den ich habe, nehmen, wie er ist und zu was er wird. Ich will nicht gegen meinen Bauch arbeiten. Ein so stilles wie herzliches Fuck You an die Idee, sich in Form halten zu müssen. Ich habe bereits eine Form. Ich falle nicht auseinander.
Allein, 23 Jahre Körperzweifel lassen sich nicht so leicht an einen Haken hängen. In Stücken an viele Haken? Diese Stücke in Form bringen oder ebenfalls lassen wie sie waren? Das ist auch nicht  leicht. (haha.)

ein Juni – a piece on fitting

Ich habe einen neuen Mantel. Er ist sehr schön, verspricht etwas vom Meer, aber er passt nicht. Er ist zu groß. Nein. Ich dachte zuerst „Ich bin zu klein“. Die Ärmel sind sehr lang, aber das passt so ins Streifenmuster. Der Umfang ist zu weit, aber da passen Pullis drunter, oder ein Biedermeierkleid. Also wirklich zu ~? Meine dritte Oma hat Schneidern gelernt, ich könnte mir den Mantel genauer an meine Körperformen anpassen lassen. Damit ich darin so schick wäre, wie ich mir das ausgemalt habe. Ich trage den Mantel, während ich das schreibe und denke, es könnte einer sein, für den man sonst den Atem knapp hielte. Denke, vielleicht will ich ihn ja lieber groß haben. Er ist wie für adrette Mädchen geschnitten; wäre es nicht nett, trotz und mit Hübschheit mehr Platz einzunehmen? Er lässt Luft. Ich könnte darin wachsen.

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ein Juli – a memory on weight

Klaus ist schon groß. Er hat eine Waage gekauft, um seine Reisetasche vor einem Flug zu wiegen. Ich wiege mich nicht. Ich finde sich-wiegen blöd. Was Menschen meinen, wenn sie abnehmen wollen, wenn es um Schlanksein geht, ist nicht das Gewicht, sondern der Körperumfang. Trotzdem lautet das Mantra „IchbindickichmussGewichtverlieren“, mit Waagenkontrollgängen. Mit Erfolgserlebnissen oder nicht, obwohl man keine Veränderung sieht. Vielleicht, weil man sie noch nicht sehen kann. Ich find das wirklich blöd. Schlankseinwollen auch. Blödiblöd. Und stecke selbst drin. Ich habe mich vor ein paar Tagen gewogen, ich weiß nicht, warum. In der 5. Klasse bediente sich unser Mathematiklehrer für ein Rechenbeispiel des mutmaßlichen Gewichts von Anke Engelke. Er bezifferte es auf 50 Kilo. In der 6. Klasse wog ich mehr als die fiktive Anke Engelke. Jetzt wiege ich so viel wie damals. Was egal ist, wenn man keine Vergleichszahlen hat. Aber ha! Klaus ist groß. Klaus ist lang. Es ist ein nur einstelliger Kilounterschied zwischen uns. Und meine Damage-Maschine rattert.

ein August – a piece of tummy trouble

Sommertage, die nicht so warm sind, dass man schwitzt. Ich bin mit meinem Kopf alleine. Ich bin mit diesem Bauch zusammen. So wie ich beschloss, ihn liebzuhaben, so sitzen wir jetzt zusammen, er und ich, und ich starre ihn an und wünsche, dass er geht. Dass er von mir runter geht. Das geht und das gehört sich nicht.

Da ist mehr. Wo kommt er her, der Wunsch zu verschwinden? Weniger zu werden? A phenomen of being female: keinen Platz einnehmen. Wie ein Gibtesnicht. Weniger werden wollen, weil man so schon wenig ist und das nicht reicht, um zu bleiben oder sogar mehr zu werden. Wenn verschwinden nicht gelingt, mindestens den Bauch einziehen.

Ich habe ein Hohlkreuz, die Kuhle, die ich hinten habe, die kugelt sich vorne. Es ist nicht so, als würde ich gleichmäßig größer werden. Es ist nur der Bauch. Der Glaube, dass es besser würde ohne diese Kugel. Weil nicht gut ist, sich ständig Gedanken um diese Kugel zu machen. Ich will eigentlich diese Gedanken weghaben wollen, nicht den Bauch.

Und selbst wenn es gelänge, wenn nicht mehr in meinem Kopf herumschwämme, ob ich runder werde oder nicht. There’s still Body Police.  Die vielen Male, die ich gefragt wurde, ob ich schwanger sei als ich’s nicht war. Oder das „Kompliment“ von Menschen, die mich länger nicht sahen, dass ich abgenommen hätte. Meine Grundschullehrerin hat das mehrmals gebracht. Das erste Mal habe ich noch höflich Danke gesagt. Das nächste Mal würde ich sie boxen.

Ich wünsche mir, meine Plauze mit der Selbstverständlichkeit tragen zu können, wie sie mich bei Männern nicht stört. Da sind Typen, die ich heiß finde, und Typen, wie die ich gerne wäre, die haben Bäuche. Die spielen keine Rolle bei diesen Typen. Ich will, dass mein Körper keine Rolle mehr spielt. Aber das ist schon wieder nah dran an ‚Ich will dass mein Körper verschwindet‘. Verflixt!

ein Dezember – a piece on position

In Gesprächen über Gewichtszunahme mit Freundinnen lautet das Credo Do not feed into it. Klare Position, dass nicht der Körper das Problem ist, sondern die Gedanken, die man sich darum macht, dass er das Problem sei. Ich fürchte, in dem ich hier das Gegenteil mache, den Schaden anzurichten, den ich in solchen Gesprächen verhindern will. But I struggle with this. Warum fühlt sich etwas, das mir nicht schadet, so an, als sei es ein Schaden? Wie geht der Impuls weg, mir zu schaden (von Genussverweigerung zu Selbsthass und seinen Folgen), um diesen vermeintlichen Schaden wegzumachen?

Oktober, ein Jahr später – missing pieces

Eine Schwangerschaft und einige Fat Acceptance Lektüre später. Einen echten Bauch gehabt und dann konnte er nicht groß genug sein. Er war nicht groß genug, um mir einen Sitzplatz im öffentlichen Personennahverkehr zu verschaffen. Einen Bauch so stolz tragen, ihn in Begrüßungsrituale einbauen. Fist bump am Arsch, ey. Belly bump is the new shit! Einen Bauch und ein Kind weniger staune ich. Das Gefühl, in meinem alten Körper zu sein, ist gut. Zu gut. Lust darauf, noch weniger zu werden. Nicht so gut.

Es ist eine große Sache, eine politische Angelegenheit. Mich überrascht nicht, dass so viele (junge) Frauen versuchen Umfang und Gewicht zu verlieren. Es ist verknüpft mit dem Platz, den Frauen im öffentlichen Leben einnehmen, dem Gewicht, dass sie in der Welt haben. Dem wenigen von beidem. Täglich erfahren und lernen, dass das, was man ist, wenig stattfindet in der Welt (medial, grammatikalisch & mehr), und wenn, dann dünn. Gelernt und erfahren haben, dass es sich so gehört, daran arbeiten, dass es richtig beibt, dass man in den wenigen Platz hineinpasst. Der Widerstand, dem man begegnet, wenn man mehr wird, mehr sein will. Das stinkt, aber ich verstehe es. Feministische Perspektive. Und darüber hinaus: Hungerstreiks als Versuch auf politische Unsichtbarkeit aufmerksam zu machen, die Gewichtsverhältnisse umzudrehen. Weniger werden als Widerstand.

Ich will, dass Frauen mehr nehmen, ohne schlechtes Gewissen. Ich will, dass Frauen mehr Platz einnehmen, auf U-Bahnsitzen wie auf Podien. Ich will, dass man an Frauen nicht vorbeikommt. Nicht zu übersehen, nicht zu übergehen. Ich will, dass Frauen mehr Gewicht haben. In der Welt wie auf der Waage.

Sieben Sachen

7 Bilder von 7 Sachen, für die ich Sonntag meine Hände gebraucht habe. Abgeschaut bei Frau Liebe.

Pappbuch umgeblättert.

Die ersten Weihnachtskisten aus dem Keller hochgetragen.

Bogen mit Kolophonium eingestrichen.

Einen Hit geübt.

Magnetfarbe mit Tafelfarbe übermalt.

Glitzer von der Hand an die Wand gepustet.

Daumen gedrückt, dass der Kaffeevollautomat mit dem Eingießen aufhört, ehe das Glas zuende ist. Geglückt.

beschenkt, 9

„[…] and tell you you’re gorgeous and hug you when you’re anxious and hold you when you hurt […]“


Sämtliche Stücke von Sarah Kane. Deutsch von Nils Tabert, Sabine Hübner, Elisabeth Plessen, Peter Zadek, Marius von Mayenburg und Durs Grünbein. Ein Geschenk von @m_otek und ein Erstsemesterbuch. Vom Seminar, das ich als erstes fallen ließ, weil ich nicht weiter wusste mit der Gegenwartsdramatik und nie vorlesen durfte. Jetzt kann ich das, was mich auf kopierten Blättern schon, hmpfff, „berührte“, komplett lesen und zwar so laut ich will! Tack så jätte mycket, Sophie.

Baumkronen

Wenn man sich nicht an Herbstblättern sattsehen kann, so kann man sich doch mit ihnen kleiden. Das ist ausgesprochen einfach und eine vor Jahren von Dos Family geklaute Idee.
Große Blätter sammeln (Ahorn und Platanen eignen sich gut), umklappen, festnähen, verzieren. In die Stiele passen Perlen und sogar kleine Glöckchen. Die sœur de coeur schwärmte vom Gefühl, mit der Nadel durch die dicken, gefalteten Blätter zu stechen; es ist in der Tat besonders befriedigend.

7 Sachen

7 Bilder von 7 Sachen, für die ich letzten Sonntag meine Hände gebraucht habe. Abgeschaut bei Frau Liebe. Besonders schöne Sachen, weil das Wochenende bei Ringelmiez stattfand.

Feines Katzenbauchfell gekrault.

Eine Nase genäht.

In Wolle gewühlt.

Steppstich gelernt und damit Beine an einem Rumpf festgenäht.

Angefangen, eine Puppenhaarperücke zu häkeln.

Geholfen, ein Wildes Meer, Haifische und deren Futter zu malen.

Geknüpft, im Zug zurück.

beschenkt, 8

„Healing a Parent’s  Grieving Heart – 100 Practical Ideas After Your Child Dies“ von Alan D. Wolfelt. Ein Geschenk von Frische Brise  und eine doppelt gute Sache, weil ich auf der Wunschliste sah, dass es nicht lieferbar sei, ausgerechnet jetzt, und dann verschwand es und dann lag es irgendwann in diesem Briefkasten. Es ist ein sehr respektvolles Buch. Es ist keines, das sich leicht am Stück läse, ist aber so nützlich wie zurückhaltend. Vielen Dank Carola.

ein Monat


Wir heizen hier noch nicht. Selbst wenn, wären meine Tipp- und Mausfinger weiterhin kalt. Fast wie ihre Hände, nur nicht so sandig. Große Lust, Sachen zu machen, mich müde ins Sachen-Machen reinzulegen. Zu lesen, nähme ich mir die Zeit dazu. Adventskalender vorzubereiten und Post zu verschicken. Ein Monat und ich komme ans Fühlen ran, als lehnte ich über einem Gatter, und Handausstrecken, aber mehr ist zu anstrengend. (Sich fallenlassen ist Arbeit, dass wissen alle, die gelernt haben in die Dusche zu pinkeln.)
Musste nun erst mein Kind sterben, damit ich zweifellos & gewiss sagen kann, dass ich ein Kind haben möchte? Arg drastisch, so. Dass jemand draufgeht, damit ich mich daran erinnere, dass ich mal Empathie, Hingabe und Schenken draufhatte. Dass „all those feelz“ mich mal nicht erschreckte, sondern aus mir wuchs. Es keimt wieder. Ich will gern was Neues bauen, aber hier ist noch ganz schön Unordnung.

betriebsausflug

open mike. mal nichts hingeschickt. trotzdem fahren, vom schönen zuhaus eingeladen und vier mal grund zum daumen halten. alina, jenya, juan, martin. eins dieser wochenenden, an denen man in restaurants isst und so satt werden kann, dass es eine weile vorhält. darüber muss ich mir keine gedanken mehr machen, seit ich in fester beziehung bin und mit ihr wohne. (ich erinnere mich an die gedanken.) ein wochenende, an dem man fein aussehen gegen frieren abwägt; berlin. ein wochenende, die kamera ohne filmrolleneinheiten auszuführen. ein notizbuchwochenende, kleingeschrieben.
das ende einer woche, ab der es anfängt, richtig weh zu tun. lesungen sind ausflugsanlass, aber es geht auch ohne sie. ich bin außer betrieb.