Monat: Oktober 2012
Briefkastenzauber
Der Stecker des Druckers passt nicht mehr in die Buchse des Steckdosenverteilers. Ich kann noch so drücken und pressen, es geht nicht. Klemmt, kaputt, ich weiß nicht. Das braucht Kraft, für nichts, und macht mich quengelig. Ich bin versetzt worden und gehe die Treppe runter an die Tür, um zu sehen, ob vielleicht ein Post-it am Briefkasten hängt; manchmal geht die Klingel nicht. Stattdessen was im Briefkasten.
Danke Carla.
beschenkt, 4
„Basisbuch Stricken“ von Betty Barnden. Ein Wunschzettelgeschenk von Katti, eine Buchempfehlung, die ich bei Ella sah. Ein Übersetzungsbuch, denn ich kann zwar stricken, aber verstehe Anleitungen nicht. Ich stricke wild, ohne Maschenprobe und passende Garne. Ich kann Flächen und Schläuche, aber da geht mehr. Jetzt find ich raus, wie, denn dieses Buch ist bestimmt übersichtlich, bunt und grundsätzlich genug. Heute neue Stricknadeln bei Oxfam gekauft (und dazu, makabrer Zufall, ein Buch zum Thema Abtreibung). Von vorne nach hinten lesen oder browsen? Stümpfe fertigstricken oder was Neues lernen? Winter is coming, Wolle zwischen die Finger!
Auf dem Buchrücken ist ein Sticker mit Barcode, da steht klein der Name des Buches drauf. Und „very_good“. Find ich auch. Danke Katti.
beschenkt, 3
„Ente, Tod und Tulpe“ von Wolf Erlbruch. Ein Geschenk von isabo*. Und das passt so gut, weil ich erst durch ihre Empfehlung darauf gekommen bin, das Buch auf die Wunschliste zu setzen. Das passt auch, weil es in der privaten Pietät auslag, die wir vor ein paar Wochen für einen Preisvergleich besuchten. („Schnell das Buch lesen, solange die Bestatterin Tee brüht, das hab ich nämlich noch nicht, und ich weiß, dass es schön sein muss, weil isabo hat das gesagt!1!!“)
Ein schönes Buch, ein anstrengender Besuch. Wie mich die sorgenvolle, wenn gleich professionelle Betroffenheit ermüdete. Papiertaschentücher auf dem Tisch, aber nicht für mich. Oder: „Nein, ich möchte nicht über meine Gefühle reden, ich möchte etwas über Ihr Angebot erfahren.“ (400€ für einen Säuglingssarg aus Holz und 300€ für ein Weidenkörbchen. Dafür günstigere Transportkosten, hey!)
Ist immer noch ein schönes Buch. Eins zum mit flacher Hand drüberstreichen und „Ach“ sagen, mit großem A. Und „Danke“. Mit kleinem.
(Ich mag den Gedanken, zur Beisetzung eine Tulpe mitzunehmen.)
*Vielleicht ist es richtiger Isabel Bogdan zu schreiben oder Isabel, aber immer, wenn ich von ihr erzähle oder an sie denke, macht es in meinem Kopf „die isabo!“, nur ohne Unterstrich.
beschenkt, 2
„Der Mann schläft“ von Sibylle Berg. Ein Satz, den ich schon ein paar Mal twitterte; er stimmt auffallend häufig. Der Mann schläft und ich sitze noch am PC*. Der Mann schläft, ich kann später lang ausschlafen. Der Mann schläft, solang ich ihn nicht wachstumpe. Der Mann schnarcht schon mal.
Ein Geschenk von Mareike; mir war sogar aufgefallen, dass auf der Wunschliste was fehlte. Danke!
*Sagt man das heute noch so? Oder ist das nicht mehr, erm, pc? (höhö)
beschenkt, 1
„Rom, Blicke“ von Rolf Dieter Brinkmann. Ein Hildesheimer Referenzbuch, zur Einführung in das elementare Schreiben, eigentlich. Ein Geschenk von Teresa, das kam, als wir noch im Krankenhaus waren, das uns erwartete, als wir davon heimkamen, das ablenkte. Danke dafür.
Findelkiste
Die Wohnungstür klingelt. Ich erschrecke mich sehr und lasse den, den ich liebe, aufmachen. Wir erwarten niemanden. Vor der Tür steht ein Nachbarjunge und sagt, dass unten, vor der Haustür ein Paket läge, da stünde ein Name drauf, der auch auf unserer Klingel stehe. Der, den ich liebe, geht und holt eine schöne Kiste hoch, die tatsächlich für uns ist, und findelkindgleich abgelegt wurde, nicht postverschickt.
Ich bin verzaubert. Dieses Ding auszupacken war wie auf Schatzsuche zu gehen. Der political pun. Die Zahlen auf den Blättern (3A-E!), an einem Tag, an dem ich mich fragte, warum ich keine Kastanien und keine Herbstblätter mehr sammle, um damit zu basteln. Das L, für das auch ich noch keine Farbe habe. Die Erinnerung an den Abend am Main. Und dass das Paket nicht nur an mich addressiert war. Allein: wir haben es so schnell ausgepackt, wie wir Luca am letzten Tag in ihren Teddyanzug einpackten, und ich bekam schon wieder einen Schreck. (Mehr auskosten, mehr anfassen, mehr staunen, bitte. Mehr Zeit.) Dann kamen wir auf den Grund dieser Herbstkiste und mit ihm auf eine Idee – wir wollen einen Drachen bauen und steigen lassen.
Bring Wind, Wochenende!
Leichtigkeit
Eine Decke, ein Kuvert, ein bleistiftbeschriebener Zettel, ein Kranich und Lumpi, der Golden Retriever-Welpe von Sue. Wir besuchen die Pietät nach einem Tag Aufschub wegen akuten Neinichbinnochnichtbereits, um Papiere zu unterschreiben, dem Saarländisch des Sachbearbeiters zuzuhören, ihm die letzten Dinge mitzugeben, damit sie unserem Kind in die Sargschachtel gelegt werden (weißlackierte Pappe, 25€). Zu spät gefragt, was ich noch dazugeben könnte, um es tun zu können; nicht zu spät, um die guten Ideen aufzulisten: ein Stück eigener Kindheit, einen Schnuller als „Ruhesauger“, ein Vorlese- oder Bilderbuch, Süßigkeiten, ein Shirt, das nach Eltern riecht, ein Foto der Eltern.
Der Sachbearbeiter telefoniert mit dem outgesourcten Unternehmen, das die Toten abholt (190€ pro Fahrt), wir machen aus, dass ich die Sachen selbst in die Schachtel legen darf. Wir machen aus, dass ich unser Kind sogar selbst umbetten und einsargen (sonst 85€) darf. Ich freue mich, als sei ich zum Meet & Greet mit einem Star eingeladen.
Der Leichenwagen vor der Pathologie des Krankenhauses, ein Familienauto mit beigen Jalousien. Die Fenster am Eingang, nicht isoliert, es zerblättert. Der Warteraum mit Kapellenfenstern, vertrockneten Blumen, einem gekippten Holzpodest für Erwachsenensärge, Fliesenboden. Warten mit einem stillen Mann, der die Hände faltet und einem schönen Blonden mit Brille, der spricht. Anzug und Krawatte, beide. Wir ziehen unsere Taschen, ziehen unsere Jacken aus. Der lange Metallwagen unter grünem OP-Tuch, Fußende zuerst hineingeschoben, dann lange nichts, dann Kind am Kopfende, kissengroß und zugedeckt. Ich kremple die Ärmel hoch. Die Sargschachtel, nicht wie in der Pietät ausgestellt sondern ohne Matratze, bloß Karton. Wir nehmen die Decke und machen ein Kissen daraus, zum Ersatz. Das Kind, mit Flecken im roten Gesicht, Schimmelgeruch. Ich decke es auf, schiebe eine Hand unter den Rücken, hebe es rüber. Das Kind, hart und schwer. Das Kind, schön wie immer.
Den Kranich neben das Köpfchen. Den Brief zu den Füßen. Den linken Arm Lumpi um den Hals gelegt. Mehr nicht. Wir nehmen uns in den Arm, ich nicke, der Blonde mit Brille legt den Deckel auf die Schachtel. Der Pathologe, Glatze, Bart und seine Brille nicht auf der Nase, verneigt sich wie zur Entschuldigung. Ich lächle, die ganze Zeit. Es ist leicht. Es ist so leicht. Auf dem Rückweg fährt der Leichenwagen ein Stück neben uns her; wir winken, bis er abbiegt.
7 Sachen
7 Bilder von 7 Sachen, für die ich meine Hände gebraucht habe. Sechs von heute, eines von davor. Abgeschaut bei Frau Liebe.
Einen Granatapfel zerlegt. Eine Hälfte gemampft, die andere wie Wassereis eingefroren.
Mit Salzshampoo das Haar eingeschäumt (oh!) und gewaschen.
Etwas ins Notizbuch gezeichnet.
Eine neue Filmrolle in die alte Kamera gefiddelt.
Eine saure Clementine geschält.
Den rechten Zeigefinger auf die linke Maustaste gedrückt.
Handabdrücke mit grünem Stempelkissen versucht. (Gelingt nicht.)
Gestreichelt und gefühlt und gehalten. Mit den Händen erinnern. (Gelingt noch.)
Oh, ktober
Train-whistles, sweet clementine
Blueberries, dancers in line
Cobwebs, a bakery sign
Oooh, a sweet clementine, oooh, dancers in line, ooohIf living is seeing I’m holding my breath,
In wonder, I wonder what happens next
A new world, a new day to seeI’m softly walking on air
Halfway to heaven frontier
Sunlight unfolds in my hair
Oooh, I’m walking on air, oooh, to heaven frontier, ooohIf living is seeing, I’m holding my breath
In wonder, I wonder what happens next
A new world, a new day to see
To see…
Ein Lied eingeübt, nur für die Tochter gesungen, nachts. Gehofft, dass sie sich erinnern können würde, dann, wenn nicht mehr Wasser ihr Resonanzraum wäre. Wenn die Vibration meiner Stimme von außen und meine Haut an ihre klänge. Gehofft, dass sie sich erinnern können würde. Nicht gewusst, ob sie’s je hören konnte. Aber fühlen vielleicht, und immer den Bauch gestreichelt dabei.
Er geht, um Bescheid zu sagen, dass wir bereit sind sie abzugeben. Ich halte sie auf meinem Arm, Gesicht an Schulter, streichle ihren Rücken. Sie kann es nicht hören, ich singe ihr trotzdem was. Dieses Lied, das erste Mal an der Luft, das allerletzte Mal. Vor Toten kann mir meine Stimme nicht peinlich sein. Sie bricht ein bisschen, das ist nicht schlimm. Ich bin fertig, ehe er wiederkommt, ich halte ihren Kopf und drehe sie um. Ihre Nase ist ein wenig eingedellt. Unter ihrem rechten Augenlid hat sich ein hellgelber Tropfen gebildet. Ich bilde mir gar nicht erst ein, dass das eine Träne sein könnte, aber oh.