Buchmessenmittwoch

Ich bin weit von den Dingen entfernt. Zum Beispiel von der Messe selbst. Heute Abend nur Randgeschehen am Stuhlreihenrand im Literaturhaus. Ich habe meine Brille in der anderen Stadt liegen lassen, deshalb sehe ich nicht gut. Deshalb sage ich von Weitem „Ich häng da noch an der Wand, wenn ich das richtig sehe“ und zeig zu den Mitnehmgedichten, nachdem ich mit einem Armschlenker erklärt hab, dass ich voll um die Ecke wohne. Da, wo die Hasen grasen. Ikognito, für den Reim, denn es sind Kaninchen. Die in ihren Gruben, wie ich schüchtern in meinen Text vertieft. Alles Alibi.

Zu den Texten habe ich Notizen, die sind nicht immer angemessen oder akkurat. Die bleiben im Block. Der Raum ist zu gut bestuhlt, das ist schade, aber bei Rowohlt ist Messefest, da klirren Gläser. Frage: Lyoner – ist diese Wurst wirklich so süddeutsch für wie ich sie halte? Entspricht vorangegangener Satz korrekter Grammatik?
Die unverfänglichen Notate sind nur Zitate, die dafür momentgebunden (muss man dabeijewesen sein, nä?).
1. Kevin Kuhn: „Es perlt auf Herzhöhe.“ „Wenn ich möchte, könnte ich es auch in den Schnee pinkeln.“
2. Johanna Maxl: „Und jetzt verwandle dich in Gold!“ „Seid Juckpulver, seid Plüschtiere!“
3. Axel von Ernst: Nennt den Titel („Sie kamen rein, tranken was und gingen wieder“), jemand lacht, er fragt „Was gibt’s denn da zu lachen?“ Es gibt: „Täglich lecker Suppe“

Da ist eine, die ich wiedererkenne und sie vielleicht mich, denn sie nickt mir zu. Der November gibt Hinweis darauf, dass man ihr oft in groß wiederbegegnen wird. Und ich begegne später einem, der mir vertraut ist, auf Herzhöhe. Wir sitzen bei Mr. Pommes und spielen Tatort, kaufen Milch zur Geistestunde, schielen durch perfekt geputzte Altherrenfreudenschaufenster (Pfeifen, Zigarren und Whisky) und merken die Messe nur an Taxischlaufen. Sie ist weit weg.

Buchmessendienstag

„Wenn ich Sie kurz bei Ihren Gesprächen unterbrechen darf“ kündigt Semmelroth seine Eröffnungsrede an. Hält sie so, als handle es sich um einen Beitrag für die Aktuelle Stunde im Römer, mit vorher nur skizziertem Text. Keine Zwischenrufe. Eigentlich sicheres Terrain.

Markus Feldenkirchen erkenne ich aus dem Frühstücksfernsehen wieder. Da wunderte ich mich, dass er nicht Teil des Debütantenabends sei, das ist doch auch ein Debüt, ein richtiger Roman. Wie es gekommen sei, dass er ins Cornflakesmilieu gerutscht sei, da, wo die Uhrzeit in einer Sonne angezeigt wird, statt auf einem Literaturkarusselpferd sitzen zu dürfen. Ich muss aufmerksamer lesen. Tut er auch. Also, seinen Text aufmerksam lesen. Verstellt seine Stimme für die wörtliche Rede der Mutter des Protagonisten so, dass man sich ihn gerne als Vorleser von Schnüpperle und Räuber Hotzenplotz denkt. „Eierbär.“ Und warum sitzt eigentich Sabrina Janesch bei dieser Veranstaltung auf keinem Pferd?

Wie anders liest Vanessa F. VFogel**, obwohl auch sie geübt hat. Spricht mit gespitzten Händen, aus denen ihr die Präpositionen rutschen. Muttersprache ist nicht Muttersprache. Ihre Fangruppe sieht gebildet aus und stifternah. Manschettenknöpfe. „Ich mach es mir. Ich hab mich entschieden, es mir zu machen.“ Sätze und Versprecher aus dem Kontext gerupft.

Marcel Maas trinkt Bier, trägt Lederjacke und zieht eine Augenbraue hoch. „Ist alles Konzept.“ „Was ist das Konzept?“ „Bier, Lederjacke, sieht man ja.“ Gesprächsführung, die erst auffällt, wenn die Fragen beknackt sind. „In Ihrer Generation ist es so, dass Musik, dass Blogs, das Internet Ausdrucksformen sind. Warum ist Ihr Text als Buch erschienen?“ Bitte? Besser: Wann gibt’s den Text als mp3? Kommt runtergerockt so hundertmal besser als leise gelesen. So, wie er spricht. „Dolbysurroundschuldgefühle.“ Und „tagkrank“.

Der gutaussehende Arzt Dr. Winter, bei dem die Damen überlegen, welchem amerikanischen Schauspieler er ähnlich sähe und die zuckersüße (whoa, Gesten!) Anna Elisabeth Mayer, bei der ich rätsele, welcher amerikanischen Schauspielerin sie ähnlich sieht. Irgendwas zwischen Katie Holmes und Wieheißtdienochgleich*. Der Beamer malt ihr Gesicht pink, mit gelbem Streifen schräg über die Augen; sie steht im Logo.

Kleinstadtghettoballade ist ein Titel, der was verspricht. Das Gespräch füttert mein Interesse. Und dann liest Oliver Becker und ich nehme alles zurück. Steht ein Mann auf einer Zugbrücke (Zugbrücke, haha. Nein.) und denkt „Die Schienen, wo mochten sie enden?“ „Ich schließe die Augen und denke an nichts.“ „Ich war nicht wie sie“. Das reicht nicht aus. „Sie trug einen ihrer beiden Pullover“ ist ein starker Satz. Dann zuviele Sätze drumrum, die das floskelig beschreiben. Zuviel des Nichtguten reicht immer noch nicht aus.

Für Inger-Maria Mahlke ist das Fernsehen da. Der Haarschnitt konserviert, so gelingt die Wiedererkennung, wo sie nie in Zweifel zu ziehen gewesen wäre. Ein paar Reihen vor mir eine grauhaarige Frau mit rosa Schal, sie trinkt Bier aus Bügelverschlussflasche und stellt es neben ihrem Journal Frankfurt auf dem Stuhl links von ihr ab. „Potulski“ ist kein gutes Mikrofonwort. „Polnisch“ auch nicht. Es ist mittlerweile so leer, man könnte in den ersten Reihen sitzen. Es täte der Konzentration sicher besser.

Frédéric Valin, wie er an den Verbrecherverlag gekommen sei: „Ich entmystifizier mich da, wenn ich das sage. Ich hab da 2003 ein Praktikum gemacht.“ Er spult die Konzentration noch mal ran, plaudert unverdingst und clever. „Sexualopportunist.“ Einiges trifft, aber nicht ins Herz. Wo’s auch nicht hingehört.

Ist als letztes Christian Lorenz Müller dran, klickkickt Dialektjubel, liest einen Klangtext, nein, ein Klangfest, aber ich bin zu müde für dieses Party. „Entasten“, nicht tasten. Inger-Maria räkelt sich, reibt ihren Nacken, mal mit einem, mal mit beiden Armen. Sie ist auf einem Karusselpferd, das sich während der Fahrt bewegt. Anspannung. Hüa. Wir reiten heim, nach einer vierstündigen Gesprächsunterbrechung. So ungefähr und mehr.

*Maggie Gyllenhaal. Das war’s. Und AUTSCH, im Flyer ist sie falsch geschrieben. Alter Leier, altes Leid.

**Spät gefunden: Auch Vanessa F. Fogel im Flyer falsch geschrieben. Zu peinlich.

„Mei Frau sammelt ja aach.“

Dann war es nämlich so, dass die Nacht lang und der Morgen voller Husten und Flüsterschimpfen war. Und ich hatte einen Auftrag, für den ich wachblieb, und erledigte Aufträge, während ich wachblieb und blieb wach und wollte natürlich nur schlafen. Dann kam der Krach zurück in die Küche, die nicht meine ist, ich nahm die Regenjacke, die mal die einer anderen war, (Mütze mit dem selben Hintergrund und Schuhe im Zwischenzustand, wo Besitzverhältnisse erst geklärt sind, wenn ich die Dinge mitnehme, ohne was zu sagen) zog mich also an und ging raus. Humpelte. Stand zu lang an der Ampel, als kein Auto fuhr und wo die Autos bei mir einbiegen dürfen, wenn ich auch Grün bekomme. Blinkwarnung natürlich. Und immer noch dunkel. Dann der Laden, so leer, dass man sich nicht reintraut. So leer, dass die Kasse offen, aber unbesetzt ist. Dass man sich quer in den Gang legen könnte und keiner würde stolpern. Dass man die vertrauten Angestellten um den nächsten langsamen Walzer bitten könnte. Die, die schon zusahen, wie man kinderklein auf Hockern durch die Vorladenöffnungszeitengänge rollte. Einen mit „Na, du Räuber!“ begrüßten. Da war ich schüchtern. Und sagte nicht Hallo. Bezahlte und bekam einen schönen Montag gewünscht, sehr gut, da weiß man, was für ein Wochentag so ist.  Am Eingang kam mir ein junger Mann entgegen, der warf erst einen Blick in den Papierkorb, bevon er durchs Drehkreuz ging. Und ich ging links, mir das Stickeralbum meiner Stadt kaufen. (Ja, das Stickeralbum meiner Stadt!) Dann war es nämlich so, dass mir ein frohes Verkäufer-Hallo zuschepperte, er, mit Basecap, große Schritte machte, um mir das Heft zu holen, das ganz woanders lag, er mich die zwei Stickertütchen, die ich dazu haben wollte, selber aussuchen ließ, nicht, dass was doppelt wäre, und mich einlud, wierderzukommen um zu tauschen, mit seiner Frau und anderen Kunden. Heimweg bei rosa Schlierenhimmel, der macht, dass man die Stadt darunter noch lieber hat. Arg lieb tatsächlich.