Eigentlich liegt mir etwas auf der Zungenspitze, zu #vonhier und der Frage: Wo kommst du eigentlich her, nein, wo kommst du wirklich her, also, wo kommen deine Eltern her, deine Großeltern usw?
Das, was ich sagen will, liegt mir tatsächlich nicht auf der Zungenspitze sondern tief im Rachen. Ich bekomme das r nicht richtig hin. Ich bekomme es zu RRRichtig hin.
„Wo kommst du eigentlich her?“ ist eine rassistische Frage, das ist keine Neuigkeit. Dass diese Frage sich präzise übersetzen lässt in: „Warum bist du nicht weiß?“, war schon vor #schauhin bekannt, ich bin nicht die erste, die das sagt, oder die letzte, aber ich will es laut aus einer anderen Richtung werfen.
Weil ich das nicht gefragt werde.
Natürlich sagen Leute, sie stellen diese Frage nur wegen ihres genuinen Interesses. Weil sie Menschen fragen, im bestgemeintestem Sinn, von denen sie glauben, die hätten was Interessantes zu erzählen über das Wokommstdueigentlichher. Da auch bestgemeint bekanntlich nicht das Beste ist: zu glauben, man könne jemandem Migration oder Migrationsgeschiche an der Haut(farbe) ablesen, ist als Rassismus so basic und 101, ich staune, wie man das nicht checkt.
Also, hier von mir. Ich werde das nicht gefragt. Weil ich weiß bin. Ich könnte was zu der Frage erzählen, weil ich einen Migrationshintergrund habe. Aber ich befriedige mit meiner Antwort keinen Voyeurismus, sie hilft nicht, mich eine Schublade einzuordnen, die lautet: „Aah, SO sieht jemand aus di_er aus Land xy kommt“. Als ich geboren wurde, war das Land, aus dem meine Cis-Mutter nach Deutschland immigrierte noch kein EU-Land. Die Geschichte, wie sie kam, hat mit Arbeitsmigration zu tun, mit Asyl, mit anderem.
Das, was mir die Zunge verdreht, ist Assimilation. Ich bin ihr Produkt. Ein gelungenes Produkt, vielleicht. Von den Haaren bis zu den Fußsohlen, vom Namen bis zur Aussprache. Es sind brüchige Stücke, die ich wiedergeben kann von einem Teil meiner Familiengeschichte; wie meine Oma Deutsch gelernt habe von jugoslawischen Kolleginnen in einer süddeutschen Fernseherfabrik und mein Opa aus Pornoheften. Wie ich lange dachte, Stuttgart sei eine Stadt in Rumänien, weil mir die Autofahrt dahin lang genug vorkam, weil Mama und Oma sich fast nur auf Rumänisch unterhielten (von den für mich ebenfalls nicht verständlichen eingestreuten deutschen Bürokratieworten mal abgesehen), die schwäbisch schwätzenden Brezelverkäuferinnen habe ich nicht hinterfragt. Wie Mama zusammenzuckte (to cringe wäre das passendere Verb), wenn jemand ihren Akzent erkannte, oft ein Arzt oder eine Ärztin, und mit ihr das Gespräch auf Rumänisch fortsetzte, obwohl ihr das nicht Recht war. Ich kann ihren Akzent erst seit wenigen Jahren überhaupt hören, erkennen.
Mama hat ihren rumänischen Nachnamen mit der Eheschließung abgegeben. Ein Name, der auf dem Weg nach Deutschland seine eigenen Akzente abgegeben hat, so jetzt ganz anders ausgesprochen wird. Sie hing nicht dran. Ich habe den Nachnamen meiner trans Mutter Andrea bekommen; ausgerechnet einen der deutschmöglichsten Namen, ironischerweise in einer Variante, die niemand richtig schreibt, auch wenn ich buchstabiere.
Mama hätte uns Rumänisch beibringen können, aber sie wollte nicht. Manchmal habe ich das bedauert, aber ich verstehe mittlerweile das Privileg, das es in meiner Bildungsgeschichte war, unhinterfragt deutsch zu sein. Jetzt versuche ich nachzuholen die Sprache zu lernen und fühle mich wie eine Touristin in meiner Familiengeschichte. Höre Oma zu, wie sie Schuje statt Schuhe sagt, und bekomme selbst nicht das rrr an die Spitze des Gaumens für rechin, rață, drăguță. Ich verstolpere mich an ă und â. Es klingt alles so richtig in meinem Kopf, aber nicht aus meinem Mund heraus.
Ich sehe aus wie Andrea, vor allem. Mama, Oma, Opa haben alle dunkle Haare, haben einen Teint, der nicht so toastbrotig ist wie meiner. Auch hier die Ironie, dass die eine Verwandte mit roten Haaren aus dem rumänischen Teil der Familie ist. Aber oh, Körper. Es gibt einen Punkt, der für mich die wunderlichste Verkörperung dieses Assimilationsprozessses ist, über drei Generationen hinweg. Es ist ein kleiner Punkt über einem Nasenflügel. Ein weißer Punkt, ausgerechnet. An der Stelle, wo er bei mir sitzt, hat meine Oma eine braune Warze. Mama hatte eine etwas kleinere, in der Farbe ihrer Gesichtshaut, und ließ sie sich entfernen, nebenbei, bei einem Eingriff mit anderem Anlass.
Und ich? Ich habe keine, einfach so. Nur diesen weißen Punkt, und ein Paar feine Äderchen, die auf dem Nasenflügel herunter wachsen wie Wurzeln.
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In der Grundschule nahmen Klassenkameradinnen mal an, ich sei Kroatin. In einer Klasse, in der Almankinder die Ausnahme waren, war der Gestus möglicherweise weniger das von sich/der Mehrheit auf andere schließende „Weil wir weiß sind, erwarten wir, dass andere auch weiß zu sein haben“ sondern eher das ebenfalls von sich auf andere schließende „Weil wir eine Migrationsgeschichte haben, haben andere sie sicher auch“. Es klang wie der Versuch zu sagen „Du bist sicher eine von uns“.