Manchmal habe ich das Gefühl den Eindruck, dass ich jeden Text zu einem größeren Thema nur so strukturieren kann: „Als ich ein Kind war, war das soundso. Jetzt ist es ungefähr so.“ Dann lass ich es bleiben, so einen Text zu schreiben, weil mir das albern vorkommt. (Oder ersetze Gefühl mit Eindruck, weil Gefühle nicht seriös genug wirken.)
Egal: Als ich ein Kind war, stand ich total auf Aktivitäten und Repräsentationsdingsis, die mit Bildungsbürgertum verknüpft sind. Ich wollte Ballett tanzen, Pferde reiten, Geige spielen. In einem Altbau wohnen. Einen vollen Nachmittagsstundenplan haben und zum Wunderkind gepusht werden. Am Liebsten als Geigenwunderkind. Und auf dem Laminatboden rutschte ich zu klassischer Musik auf den Socken rum, wenn ich alleine zuhaus war und spielte, ich sei weltberühmte Eiskunstläuferin, sehr gebildet und eine Mentorin für Vivaldi, meine jüngere imaginäre Eiskunftlaufkollegin. Habe eine Geige aus Pappe gebastelt und hoffte in Richtung Grundschulklassenlehrerin, die selbst Geige spielte, dass sie mir die Tür dahin aufmachen oder meine Hand auf die Klinke legen könnte.
Mit der Klasse haben wir mal einen Ausflug zu einem Geigenbauer gemacht, ich hatte ihn mir vorher vorgestellt wie meinen Onkel Hugo, der Bauer ist; mit Latzhose, dreckigen Stiefeln und so einem Bauernhut aus Cord, in einem Zimmer voller Geigen. Dann brachte meine Lehrerin ihre Geige mit in die Schule. Wer wollte, durfte mal probieren. Ich war die erste und unfassbar aufgeregt. Wollte einen guten Eindruck machen, habe gefragt, wie man ein a spielt oder ein c, die Noten kannte ich vom Blockflötenunterricht, den sie gab. Hatte die Hoffnung, dass sie mir alles in den Pausen beibringen könne. (Wie ich auch eine Klassenkameradin, die Reitunterricht bekam, darum bat, mir ihr Wissen weiterzugeben, sie zeigte es mir auf Fahrrädern und Klettergerüsten.) Diese Geige in der Hand zu haben und zu halten und nicht richtig halten zu können, weil das echt schwierig ist und unbequem, wenn man das noch nicht kann, und den Bogen dazu, und streichen zu probieren und es kommt ein Ton raus, zu merken, wie weit das von professioneller schöner Bogenhaltung weg ist, und wie das kratzt, aber das so zu wollen und greifbar zu haben und – oh my fucking god, war das intense. Die Kinder nach mir waren mutiger, probierten einfach rum; ich erinnere mich vor allem an Osman, der sehr witzig fand wie er spielte und wir alle auch und ich war neidisch, weil er sicherer war, es bei ihm fast wie ein Lied klang, er mehr aus seiner Gelegenheit machte. Kurz darauf erklärte meine Lehrerin meinen Eltern, dass das mit dem Geigespielen für mich keine so gute Idee sei, ich hätte nicht das entsprechende Gehör. Was meiner Cis-Mutter recht war, sie wollte, dass ich spiele (also Spiele spiele), dass ich nicht so viel lernen muss, wollte mich Kind sein lassen und mich gerade nicht zu Leistung zwingen.
Im Nachhinein: Good parents! Ich wär eh zu faul gewesen, hätte mich wahrscheinlich gewehrt. Aber mein Begehren in Richtung Bildungsbürgertum hörte auch auf dem Gymnasium nicht auf; ich probierte aus, mich mit als schwierig deklarierten Büchern und dem Gebrauch von Fermdwörtern zu profilieren. (Wie stolz ich auf „dekontaminieren“ war, silly kiddo.) Ich bekam endlich Geigenuntericht (nach einem Abstecher über das Cello, weil das ja nicht so schlimm klinge), der sogar in einem Altbau stattfand. Im Schüler_innenvertretungsraum lag eine Umfrage des Spiegel rum, zum Einschicken, für wasauchimmer, da sollte man angeben, wieviele Bücher im Haushalt vorhanden seien. Zuhause zählte ich; das höchstmöglich ankreuzbare Feld zu erfüllen ging gut, ich zählte jedes lustige Taschenbuch und jedes Feuerwehrfachbuch meiner Trans-Mutter. Sammelte eigene Bücher und ordnete sie in so Kategorien wie Hardcover. Haha.
Spannend wurde es, als meine Schule aufgelöst wurde, es hieß, wir seien „Schüler aus bildungsfernen Schichten“. Dass diese Beschreibung einen rassistischen Hintergrund hatte, konnte ich damals nicht einordnen. Unter Freund_innen kokettierten wir mit diesem Label. Mein Wunsch, intellektuell rumzuhampeln hatte ab da auch irgendwas mit Rebellion zu tun, mit „nein, ich bin nicht so“, nicht mehr nur als personal quirk, aber das ist schwer zu greifen. In der Oberstufe gings dann aufs benachbarte humanistische Gymnasium. Was eine Riesengeschichte für sich ist. Jedenfalls: Dort lernte ich, wie sich Habitus anfühlt. Dass ich erst diesen Monat(!) gelernt habe, dass das einen Namen hat, hat auch damit zu tun. (Erst wollte ich statt „das“ „dieses Gehabe“ schreiben, aber dann dachte ich, das sei zu despektierlich und dann habe ich noch mal nachgeguckt, was Habitus heißt und tadaaa: Habitus kommt von gehaben.) Das Gefühl, in die Welt, in der man solche Begriffe benutzt, nicht reinzugehören.
Krasses Ding, wie ich mich abmühte, Anerkennung zu bekommen, mit Orchester, Debattiergruppe und Debattierwettbewerben, Schüler_innenvertretung, Fremdsprachenwettbewerb, Geschichtswettbewerb, selbstorganisierten Auslandspraktika, Organisation von karitativer Musik, Studienreise, aber dieses selbstverständliche Anerkennungsding, das Kinder von Eltern, die große Tiere oder in die Zukunft ihrer Kinder investiert waren, bekamen, das war nicht drin. Nicht so. Dann hab ich an einer Schreibschule studiert, wo das Verhältnis von intellektuell-elfenbeinig, distanziert-unstreberig und kreativ-verspielt eh speziell war. Was ich dahin mitnahm, womit ich daraus zurück kam: Intellectuality is lost on me. Ich gehör da nicht rein. Ich kann das nicht. Lieber was anderes machen.
Und jetzt das: ich sitze vor meinem Reader für die Einführung von Frauen- und Geschlechterforschung. Im zu lesenden Text zur doppelten Vergesellschaftung von Frauen wird aufgeführt, wie Weber, Simmel, Marx, Tönnies, Plessner, Adorno und Gildemeister mit dem Begriff gearbeitet haben. Ich stecke irgendwo zwischen OHMEINGOTTICHPEILENIX über JAKLAR!! zu LOLNOPEDASGEHTANDERS. Ich wundere mich über all die erfundenen Worte (Paziszenten! Homologie! Relationalitäten!), komme mir mal dumm vor und mal komisch schlau, weil ich einen Nebensatz finde, der so formuliert ist, wie ein Nebensatz in meinem Handarbeitstext für kleinerdrei, und da dachte ich, ich hätte ihn mir ausgedacht. Ich lese dem Baby aus dem Text vor, weil es getragen werden will, erkläre dem Baby, wie ich was verstanden habe, und fühle mich so gut dabei. Wie früher. Ein kleines Gefühl von so-möchte-ich-gerne-sein. Mein Wunschselbstbild mit 15: 25 Jahre alte Studentin mit Brille und Pferdeschwanz. Ich jetzt: 26 Jahre alte Studentin mit Brille und – Surprise – Pferdeschwanz. Ich weiß, dass mein Begehren mit Hierarchien zu tun hat, dass es lang an den Wunsch geknüpft war, nah an alte weiße Männern ranzukommen, um den Respekt zu erfahren, den sie erfahren und dass das weder funktioniert, noch wirklich begehrenswert ist, aber schlauer sein wollen, Wissen auch vermitteln zu können, Sachen infrage zu stellen und zwar fundiert und kluge Worte zu benutzen, ehrgeizig zu sein und mir Mühe zu geben, das will ich (wieder). Selbstbild als Hufflepuff, die sich nach Ravenclaw wünscht.
(Täglich bloggen ist tricky, wenn mehr Text als Bild in das Posting soll, wenn der Text öffentlich sein soll, einfach so. Eine Kette aus Ich habe nichts zu sagen -> ich habe nichts Schönes zu sagen -> ich habe nichts Kluges zu sagen -> ich kann das Kluge nicht schön sagen -> jemand wird es weder klug noch schön finden und gegen mich verwenden. Und es dauert STUNDEN. Ich muss mal mein „orr, fuck it“ üben.)
Vielen Dank für diesen Text.
Dein Bild ist für mich sehr aussagekräftig. Und hat mir geholfen Worte für meine Beschreibung zu finden.
http://imona.twoday.net/stories/selbstbild-als-hufflepuff-die-sich-in-ravenclaw-erwartet/
Ja! This! Fand ich sehr interessant zu lesen, hab mich wiedergefunden, mit weniger Musik, dafür mehr Literatur, Naturwissenschaft und Mathe…
„Ich habe nichts zu sagen -> ich habe nichts Schönes zu sagen -> ich habe nichts Kluges zu sagen -> ich kann das Kluge nicht schön sagen“
Yup, geht mir auch so, deswegen blogge ich nicht regelmäßig, aber ich habe den Eindruck, dass auch das mit dieser Habitus-Geschichte zu tun hat: eine wie ich, die sowieso so ungebildet ist, kann ja überhaupt keine klugen Gedanken haben, die nicht für alle anderen normalen Menschen ohnehin selbstverständlich sind. Und klar und sinnvoll ausdrücken kann ich mich sowieso nicht. Wie auch immer ich damals 14 Punkte im Deutsch-Abi bekommen habe, ich weiß es nicht, das war vermutlich, bevor ich von Bourdieu erfahren habe und bevor ich gemerkt habe, dass an meinem sprachlichen Ausdruck und den Wörtern, die ich verwende, genau wie an allem, was ich sonst noch von mir nach außen trage, eben dieses „Kind aus einer bildungsfernen Schicht“-Etikett dranklebt, das mich für immer für alle als Außenseiterin identifiziert (und dann auch noch als die Sorte, die versucht, etwas zu sein, was sie nicht ist). Und wenn einem das bewusst ist, dann fehlt einem natürlich erst recht die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit dem sich andere Leute im entsprechenden Teil der Gesellschaft bewegen…
Und ich wollte eigentlich noch mehr schreiben, aber das tu ich vielleicht in einem eigenen Blogpost. Ich wollte nur loswerden, dass ich finde, dass dieses Gefühl nicht von ungefähr kommt. Was dich aber nicht vom Bloggen abhalten sollte, ich lese deine Posts sehr gerne, auch wenn ich grad zum ersten Mal kommentiere, und finde, du hast schon einiges zu sagen :).
(Vielleicht befreit ein weiterer, winziger Dreh: Ich habe nichts zu sagen, was wichtig genug ist versteckt zu werden. – ?)
woah, bist du echt erst 26?
Als ich mal an der Uni war, war ich 24 und hatte genau.dieses.gefühl in dem gleichen Mix wie du das geschrieben hast… hahaha…! Super!
The long road to Yourself ….
Ich habe den Text in mir ruhen lassen, nachdem ich ihn gelesen hatte und spontan nichts sagen konnte.
Heute, so beim Stricken und Musik hören und Gedanken schweifen lassen, da kam mir das Stichwort authentisch. Authentisch sein. Sich selbst sein. Dazu muss man sich selbst finden, und das ist eine lange Reise.
Eigentlich interessiert mich der soziale Status nicht sonderlich. (Vielleicht kann ich das „eigentlich“ auch weglassen.) Was ich so richtig wichtig finde im Leben, ist, dass man zu sich selbst kommen kann. (In den zwanzigern ist da man so richtig dabei und auf dem Weg, das stimmt.) Dass man sozusagen seine Position kennt. Sich selbst kennt und annehmen gelernt hat. Die Stärken, die Schwächen, die Träume, die Nöte, die Bedürfnisse, die Wünsche und was nicht alles.
Ich denke da so an die alte Konzertmeisterin meines alten Orchesters. Ich war damals Stimmführerin der zweiten Geige, und machte diese Stimmführerei völlig anders als sie. Aber ich habe sie niemals angegriffen oder sonst etwas, denn dieser andere Stil, den sie hatte, das war eben ihr authentischer. Und das war mir wichtig, dass sie Authentizität in ihrer Führerschaft lebte.
Hm, irgendwie war das runder, als in mir so die Gedanken aufstiegen. Ich hoffe, Du verstehst, was ich sage, sagen will. Hm. Leb einfach und probier aus. Wird schon werden.