Noch dabei ein Buch zu lesen, das ich secondhand fand und alleine wegen des Totel einladend fand: „Ein Haus mit vielen Zimmern – Autorinnen erzählen vom Schreiben“, herausgegeben von Sophia Jungmann und Karen Nölle. Es ist eine Mischung aus Texten von Gegenwartsautorinnen und Texten von älteren oder toten Autorinnen, die meisten Texte (Gedichte) von Nora Gomringer. (Etwas unausgewogen.) Den Anfang fand ich fad, fast belanglos. Lange hängen geblieben bin ich an Blaubarts Ei von Margaret Atwood, ich bin nicht rein gekommen und hätte das Buch fast weggelegt. Dann knallte das Ende überraschend und ich blieb drin. Zum Glück. Alleine für Antje Rávic Strubels Essay Mädchen in Betriebnahme von 2015 hat sich das Buch dreimal gelohnt. Hit right in the gut. Allein was sie schreibt über ironischen Sexismus und Übergriffigkeit in Podiumssituationen:
Vielleicht würde einer der Herren, die um uns herum auf Sesseln sitzen, gern mit mir tauschen. Viellleicht hätte einer von ihnen die Hand des Redakteurs, die sich immer mal wieder meines Oberschenkels versichtert, nötiger. Aber ich kann sie ihnen natürlich nicht anbieten, das wäre unhöflich, denn der Redakteur findet mich eine schöne Zier an seiner Seite, und man ist nicht gern unhöflich, wenn einer nett zu einem ist.
Und man weiß ja, wie unernst so eine kuschelige Sitzgelegenheit heute gemeint ist und dass keiner ein Kompliment ohne Ironie mehr macht. Deshalb darf man so ein Kompliment auch nicht zurückweisen, wo sich der Redakteur doch seit neunzehnhundertachtundsechzig solche Mühe mit der Ironie gegeben hat. Denn der Redaktuer sagt sich, wenn man so viel ironischen Aufwand wegen eines Mädchens betreibt, wo man doch gar kein ironischer Mensch ist, und es erkennt seine Mühe gar nicht an, hat man das Recht, gekränkt zu sein. Und beim nächsten Mal lässt er dann nicht nur die Ironie, sndern auch das Mädchen in der ja sonst wie am Schnürchen laufenden kernigen Diskussion einfach weg. Das Kompliment zurückzuweisen wäre auch nicht intelligent, ich stünde ja da, als hätte ich die Ironie nicht verstanden. Ich zwinkere also heftig, ich habe Lust auf so einen Augenaufschlag aus der Stummfilmzeit, und dann gelingt es mir auch. Keinesfalls darf ich die Ironie ironisch kommentieren, denn das würde doch wieder auf einen Ernst hinauslaufen und alles wäre futsch.
Getroffen hat auch eine Stelle über Körper von Autorinnen, on point, würde ich sagen:
Mit dem Label des Mädchens oder der jungen Frau werden nicht nur Texte gerahmt, die von Liebesperlen, Knutschflecken, möglichst schmutziger sexueller Selbstentdeckung oder der dornröschenhaften Unterwerfung unter einen Sado-Prinzen erzählen, sondern auch Texte, für die man mühsam einen Bezug zu diesem Label konstruieren müsste. Manchmal scheiterte man ganz, gäbe es da nicht diesen bequemen Rückschluss auf den Körper der Autorin. Der gehört zum historischen Modell. Ohne unterstellen zu wollen, dass der Text bei der Entscheidung zur Veröffentlichung keine Rolle spielte, castet man doch bevorzugt auch die Autorin. Über den Körper wird Texten von Autorinnen eine biografische Zeitlichkeit eingewebt, die ein Verfallsdatum mit sich bringt […].
Vom Körper als Hindernis schreibt auch Virginia Woolf, deren Essay A Room of One‘s Own der Titel dieses Buch weiterspinnt, ich fand mich darin wieder:
Das Mädchen wurde aus seinem Traum gerissen. Sie befand sich in einem Zustand akutester und schwierigster Not. Um es ohne Bild zu sagen: Sie hatte an etwas gedacht, etwas, was vom Körper handelte, von den Leidenschaften, und was zu äußern sich für sie als Frau nicht gehörte. Männer, sagte ihr ihr Verstand, wären schockiert. Das Bewusstsein dessen, was Männer über eine Frau sagen, die ehrlich über ihre Leidenschaften spricht, hatte sie aus ihrem Zustand künstlerischer Unbewusstheit herausgerissen. Sie konnte nicht mehr schreiben. […]
Das waren also meine zwei Erfahrungen, die ich selbst gemacht habe. Das waren zwei von den Abenteuern aus meinem Berufsleben. Das erste – die Ermordung des Engels im Haus – meine ich bestanden zu haben. Der Engel ist tot. Das zweite jedoch, das Abenteuer, mit Wahrhaftigkeit von meinem eigenen Erleben als Körper zu sprechen, habe ich noch nicht bestanden. Ich bezweifle, dass es überhaupt schon eine Frau bestanden hat.