22.3.

Meine Oma ruft an, da bin ich gerade mit dem großen Kind alleine und damit beschäftigt, mehr Erde und mehr Saat in Anzuchtschalen zu pressen. Große Tomaten, Blumen, Broccoli. Da erzählt sie von einem Märchen, das ihr passend dazu gerade eingefallen ist. Erzählt es, wie man Märchen erzählt, mündlich, aus der Erinnerung. Ein rumänisches Märchen, sagt sie, ich will wissen, wie es heißt, um es nachzuschlagen, aber das weiß sie nicht mehr. Sie erzählt nicht nur die Handlung, grob, für die Pointe, sie erzählt es so, wie man ein Märchen erzählt, mit Details und Suspense, es ist schön, es ist eine überraschende Abwechslung von ihren Geschichten über den Herrn Jesus. Es ist überhaupt etwas Besonderes, ein Märchen nicht vorgelesen zu bekommen. Ich soll es dem großen Kind erzählen, so dass es das gut versteht, ich verstehe sie so, dass sie vermutet, sich mit ihrem Deutsch gegenüber dem Kind nicht verständlich genug zu machen. (Ich will nicht gebrochen schreiben, um ihr Deutsch zu beschreiben, so als sei es eine gewaltvolle Niederlage, gebrochen ist überhaupt ein furchtbares Adjektiv um über Sprachkompetenz zu sprechen, und rassistisch dazu.)

Ich erzähle dem Kind vorm Einschlafen das Märchen, und es verändert sich im Sprechen. Ich höre mich anderes ausschmücken, manches klarer benennen, manches nicht, und eh anders zu gendern als sie. Die Geschichte, so wie sie mir erzählte, entgleitet mir, ich kann sie nicht fixieren, und wünschte, ich hätte sie aufnehmen können, um sie mir selbst später zum Einschlafen anzuhören. Ich sage, es war einmal, sie fing anders an, aber ich weiß nicht mehr wie. Da, wo sie andeutet, was die Pointe bedeutet, die ich verstehe, fragt das große Kind nach, weil es die Wendung nicht nachvollziehen kann, will sie erklärt haben.

Eigentlich wollte ich einfach nur das Märchen hier aufschreiben, vielleicht für einen Hinweis, unter welchem Namen es aufgeschrieben ist, wo es wirklich herkommt, welche Varianten es davon gibt. Aber ich fürchte mich, der Erzählung nicht gerecht zu werden. Den Plot, den bekomme ich immerhin zusammen, und freue mich, wenn jemand die Geschichte erkennt:

Ein König ist kinderlos und sucht nach einem_einer Nachfolger_in. Dafür gibt er jedem Kind in einem Ort ein Samenkorn, und das Kind, dessen Pflanze am schönsten gewachsen ist, soll neue_r König_in werden. Die Kinder, mit Hilfe ihrer Eltern, stecken sicherheitshalber auch noch einen eigenen Samen in den Topf, und als der König nach einiger Zeit wiederkommt, steht vor jedem Haus, vor jedem Tor ein Kind mit einem Topf und keine Pflanze ist wie die andere, alle sind unterschiedlich. Schließlich kommt er zu einem Haus, vor dem kein Kind mit Topf steht. Der König steigt aus seiner Kutsche und geht ins Haus, fragt nach nach dem Samen. Das Kind ist beschämt und traurig, sagt, dass keine Pflanze gewachsen sei. Da nimmt der König es in den Arm und sagt: Du sollst mir nachfolgen, du wirst neue_r König_in. Das Kind und sie Eltern sind verdattert, und der König erklärt, dass er alle Samen gekocht habe, ehe er sie verteilte. Und dass jenes Kind König_in werden solle, das der Wahrheit verbunden sei.

Meine Oma bezieht den Schluss auf Jesus, natürlich, er sei die Wahrheit, usw. Das große Kind findet, die Geschichte ist zu … kurz. Und ich bin dankbar zwischen den beiden zu stehen, mit Erde unter den Findernägeln, die Handflächen voller Samenkörner.

Ein Kommentar zu „22.3.

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