20.1.

Mit Handauflegen das Baby zum Weiterschlafen bewegen, oder gerade nicht bewegen. Es konzentriert festhalten und mir dann vorstellen, ich könnte zaubern. Ich sitze mit Fernbedienungen ausgestattet auf dem Sofa, ein Köpfchen auf meinem rechten Oberschenkel, aber ich kann mich nicht für ein Fernsehprogramm entscheiden.

Von gestern bis heute hatte ich vielleicht sowas wie einen Mini-Hörsturz. Der überraschte mich mit einem Schnipps – dann legte sich das linke Ohr in Watte und summte verschwommen rum. Wenn es leise war, war alles fein, more or less, aber dann war es bei Geräsuchen fast so, als antworte das Ohr auf sie, als würde Klang von außen den Klang im Ohr anschalten.

Manchmal sirrt es im meinem einen oder meinem anderen Ohr, das ist normal. Ich höre da solange genau zu, bis es leiser wird, das Sirren, und verschwindet. Das ging jetzt nicht. Ich ging ins Bett, um Ruhe zu haben, aber als ich aufwachte, rechtzeitig zur Sendung mit der Maus, schimmerte es immer noch in der Muschel. So wie das Ohr mit jedem Geräusch eingeschaltet wurde, wünschte ich mir, ich hätte die Kinder auf mute schalten können. Dann bin ich ins Kino gegangen und die Kinder Schlittschuhfahren. Als ich aus dem Kino rauskam kein Klingeln, Summen, Dröhnen mehr im Ohr. Glück gehabt.

Im Kino den Film Astrid gesehen. Bereit gewesen, mich emotional mitnehmen zu lassen, mal zu wagen, bei einem Film zu heulen, statt es mir zu verkneifen, aber dann war ich die meiste Zeit nur wütend auf den Typen, der die Film-Astrid geschwängert hat, die so alt war wie eine seiner Töchter. Die kurze Enttäuschung, dass die Vorstellung doch kein OmU war, verwandelte sich vor allem in Ärger, dass es ein Film von der Sorte „Men fuck shit up & women have to navigate the mess“ war. Und noch so dies und das, was ich verkitscht und unnötig fand – die Frage ist, inwieweit der Film dem Leben Astrid Lindgrens gerecht werden kann oder eher Klischees bedient, die einerseits Lindgren als public persona ehren sollen, aber dann auch wieder intrusive sind, dass sie mehr wie von den Filmemacher_innen vorausgesagte Projektionen des Publikums wirken. Auch die Frage, inwieweit es die Aufgabe des Films war, meinen eigenen Voyeurismus zu bedienen, wie sehr ich das selbst erwartete. Tricky. Jetzt würde ich lieber mehr von Lindgren über ihr Leben wissen, in ihren eigenen Worten.

Ein Schönes noch zum Schluss. Heute, am allerletzten Tag doch noch in der Damenwahl-Austellung gewesen, nach dem Kino. Den Exponaten danke sagen und tschüss, und dann als eine der allerletzten Besucher_innen aus der Ausstellung rausgekehrt werden. Es war mir eine Ehre.

19.1.

Eigentlich wollte ich heute dies und das vom Tag erzählen. Vom mittelmäßig geglückten Versuch auf den Women‘s March zu gehen, vom mittelmäßig gescheiterten Versuch, meine Familie dahin mitzuschleppen, und warum ich lieber Gang als Familie sage, obwohl wir für eine Gang zu unterschiedliche Interessen haben.

Jetzt sitze ich auf dem Sofa – alles schläft, einsam wacht – und trage ein Rauschen in den Ohren wie bei richtig dick Stress. Es fühlt sich an, als könnte es kippen, in Pfeifen oder in verschwommene Stille, ich beobachte es angespannt und zucke bei jedem Rumpeln im Haus zusammen.

Eigentlich. Eigentlich geht mir etwas anderes durch den Kopf. Ein rechtsoffener Mainstream-Kolumnist schreibt einen Text und die Headline ist „Nazis rein“. Ich komm nicht darauf klar. Das ist so übel, ich weiß gar nicht, wo anfangen. Like, weiß er, was Nazis sind, wollen, tun? Like, wie könnte er es nicht wissen? Selbst, wenn er edgy sein will, mal so richtig provokativ dagegen brettern, dass in letzter Zeit ein paar mehr Menschen aus der Journo-Blase „Nazis raus“ gesagt haben – wie kann man das schreiben. Wie kann man es vor sich selbst verantworten, sowas geschrieben zu haben, diese Buchstaben in dieser Kombination nebeneinandergesetzt zu haben. Und wenn er es ernst gemeint hat, im Sinne von: niemanden ausgrenzen wollen, auch Nazis nicht, in der Gesellschaft für alle einen Platz haben – wie naiv, wie ignorant kann man sein? Ich check es nicht.

Tolerant sein gegen Intoleranz, um selbst nicht intolerant zu sein: it just doesnt work. Ich meine, wie ausgelutscht ist das: Das hat mich beschäftigt, als ich so 12 war. Eine etwas verschwommene, aber gut verortete Erinnerung, wie Mama und ich bei einer Gothic-Disco waren, im Kulturcafé in Mainz wahrscheinlich, und wie ich, auf dem Weg zurück zum Auto mich sehr random genau das gefragt habe. Darf man / soll man / kann man tolerant gegenüber Intoleranz sein. Ich weiß, dass ich damals auf keine klare Antwort gekommen bin; in der Schule war Kant vielleicht schon ein Thema, vielleicht noch nicht (Popper jedenfalls nie), und ich hing noch mit einem Bein im absoluten Schwarzweißdenken vom Kindsein, konnte nur Entweder-oders.

Ein bisschen später veränderte sich das. Ich merkte, dass ich nicht mehr so spielen konnte wie vorher, mit Playmobilfiguren, mit Barbies, mit was auch immer. Ich wusste plötzlich vorher schon, was ich im Spiel sagen würde und damit war das Spielerische verloren. Gleichzeitig die Erkenntnis gewonnen: ok, wow, ich kann es noch nicht ganz greifen, aber ich verstehe jetzt komplexere Gedankengänge. Kann Verständnis haben für Lebensrealitäten von anderen, die nicht meine sind, kann sie annehmen als für andere wichtig und richtig (zum Beispiel Religion). Und ich kann zwei widersprüchlich scheinende Wahrheiten gleichzeitig als wahr sehen und annehmen. Zum Beispiel: dass tolerant sein und Platz für alle haben wollen, gleichzeitig bedeutet (bedeuten kann, bedeuten muss) intolerant gegen einige zu sein, nämlich gegen die, die für Schwache, Andersdenkende, Andersaussehende keinen Platz haben wollen. Und keinen Platz haben wollen, heißt aus Perspektive von Nazis halt sehr konkret: Menschen, die nicht ihrem Weltbild entsprechen, töten. Das ist kein Scherz. Zu sagen „Nazis rein“ ist keine  folgenlose Gedankenspielerei.

(Ich muss an ein Plakat denken, dass ich in der Damenwahl-Ausstellung im Historischen Museum gesehen habe. Eines, das in der Weimarer Republik vor der Gefahr der Nazis warnte und und als Beispiel nannte, dass Nazis in eine Gruppe spielender Kinder schossen.)

Nazis raus, bitte. Aus der Gesellschaft. Geächtet, raus aus Funktionen, aus Behörden, aus dem Betrieb, aus sozialen Netzwerken, aus der Uni, aus der Öffentlichkeit. Kein Fußbreit. Dass wir darüber überhaupt reden müssen. Dass jemand „Nazis rein“ schreiben kann, dass jemand das liest und sagt, ist okay, drucken wir so. Selbst wenn Fleischhauer die Headline nicht selbst geschrieben hätte, aber in dem Fall trau ich ihm das zu, ist ja elemtentarer Teil seiner These – ich meine, dass niemand ihn geohrfeigt hat, stattdessen? Dass niemand die Person geohrfeigt hat, die das durchgehen ließ?

Wenn von Nazis geführte Feindeslisten mit Privatadressen sichergestellt werden, wenn Polizist_innen unter dem Namen NSU 2.0 drohen, die Tocher einer Anwältin zu töten, die NSU-Opfer vertreten hat. Wenn Rechtsextreme Netzwerke innerhalb der Bundeswehr sich auf einen Tag X vorbereiten. Unter anderem.

Man kann Nazis nicht als Nazis in die Gesellschaft integrieren und sie damit entnazifizieren. Der Versuch der „Reeducation“ von Seiten der USA hat auch damit zu tun, wie wenige Erwachsene ohne Nazi-Verstrickungen zum Wiederaufbau, für Ämter und Co übrig waren. Das Ergebnis davon kann man unter anderem an der Verfasstheit des Verassungsschutzes sehen (oder dass die Tochter Heinrich Himmlers in den sechziger Jahren für den BND gearbeitet hat). Gut möglich, dass Nazis sich ändern können, wenn sie das wollen, aber halt nicht, wenn man sie als Nazis akzeptiert und ihnen mit ihrer menschenfeindlichen Weltanschauung in der Gesellschaft einen gemütlichen Platz einräumt. Punch a nazi if you can, mit Nettigkeiten kommen wir da nicht weiter. Als hätte man nicht schon auf die allerallerallerschlimmste Art und Weise gesehen, wohin es führt, Nazis zu unterschätzen, zu billigen, zu Macht zu verhelfen.

Und dann könnte man natürlich sagen: Alles Kalkül, dass wer so was schreibt und damit auf Klickzahlen wie auf Empörung hofft. Aber es ignorieren, weil von ihm ja nichts anderes zu erwarten war? I just can‘t. Ich bin nicht bereit, den rassistischen Normalzustand als normal zu akzeptieren. Ich will weder akzeptieren, noch tolerieren, im Spiegel oder sonstwo 2019 „Nazis rein“ zu lesen.

 

18.1.

Manchmal (heute) frage ich mich, wie ich mit so einem Schlafrhythmus die Schule schaffen konnte. Natürlich habe ich heute verschlafen. Natürlich bin ich nicht ins Museum gegangen, weil vor der Lohnarbeit keine Zeit mehr dafür war. Statt zu schlafen hänge ich jetzt hier, immerhin unterm Laken, um halb drei, weil ich das nicht vorher geschafft habe. Meine Augenlider werfen schon Anker aus, für jede Wimper einen, und ich schlafe noch nicht und morgen wieder lang, wetten. Aber dann ist da auch die Erkenntnis, dass ich die letzten Tage neben dem Baby geschlafen habe, das natürlich die ganze Nacht snacken möchte, wenn es in Riechweite meiner Brüste liegt, aber ohne Milch durch die Nacht kommt, wenn es neben einem anderen Menschen liegt. Ich glaube, ich bin noch nicht heavy metal genug für nachts abstillen, aber nachhaltig ist das hier auch nicht, so lang zu schlafen, zwar, aber so dünn zu schlafen wie Eis das knackt, als sei es Creme Brulee und ich tippe nur mit dem Finger darauf oder das Baby mit seiner Zunge und zack, wach. Schlafe, wenn das Baby schläft, blogge, wenn das Baby bloggt.

17.1.

Letzten To-Do-Listen-Punkt für den Tag erledigen. Alle schlafen, nur ich nicht. Das Ungewöhnliche ist nur, dass ich auch im Bett liege, dass ich eins der Kinder alleine in Bett und Schlaf und frische Windel gebracht habe, weil der andere Erwachsene hier beim großen Kind einschlief. Wahrscheinlich hätte er heute ein Nickerchen brauchen können wie ich gestern. Ich bin zwischen 20 und 21 Uhr mit Augen zu ins Bett und konnte trotzdem nicht vor halb 12 aufstehen. Als stemme sich mein Körper mit allem Gewicht gegen den Morgen. Weiß nicht, wie ich das finden soll.

In meiner Brust ein Knäuel wie ein schlechtes Gewissen, eine dumpfe Unruh. Ich vermute, dass sie nicht mit mir zu tun hat. Dass ich nur ein Schwamm war für das Elterngespräch, das ich vorhin hinterm Glas vom Kinderladenbüro sah, sah, wie zwei der drei Erzieherinnen im Gruppenraum im Dunkeln saßen, ehe eine ins Büro ging, ohne ein Zeichen. Ich schrieb erst Funkeln statt Dunkeln, ich wünschte es wäre das gewesen. Jetzt hoffe ich auf eine gute Lösung, darauf dass sich das Gewirr hinter meinen Rippen löst. Unresolved, noch, so als drohe mir unbestimmte Schelte, dabei habe ich selbst einen mutmaßlichen Konflikt ja nur gestreift.

Das Aufzuschreiben hat’s jetzt nicht weggemacht. Na toll.

Woher, wohin das Gefühl? Wenn ich morgen früh genug wach bin, will ich noch mal in die Damenwahl-Ausstellung im Historischen Museum, allein, mit mir und Speicherplatz auf dem Handy. Um jede Zeile zu lesen, jedes Objekt anzusehen, genau, alle Aufnahmen von vorne bis hinten zu hören, Zetkin, Sender, Selbert, mehr.  Von allem ein Foto, was ich mir merken will (Kind, du könntest dir auch den Katalog kaufen), von allem Notizen, so gut es geht. Weil ich lieber sowas aufsaugen will als die Spannungen anderer Leut. Oder kommt das schlechte Gewissen, weil die Ausstellung am Sonntag schon endet und ich mir zuwenig Zeit dazu genommen habe? Ich kann es nicht greifen, aber ich würde es gerne fortwerfen, aufs Pflaster, wie eine Wasserbombe. (Ein fiktives Pflaster unter die wunde Brust.)

 

16.1.

Ich bin so müde. Es ist 20 Uhr, so ungefähr und ich liege bereits im Bett. Mit geputzten Zähnen, mit gewaschenem Gesicht. Wobei ich zweifle, ob man das waschen nennen kann – ich habe mir einen nackten Reinigungsbalsam gekauft, so nennt sich das, aber es ist mehr so, als würde ich mir damit jeden Abend das Gesicht einölen, als dass es wirklich sauber würde. Hauptsache Lavendel, ich konditioniere mich jetzt jeden Abend ein bisschen.

Ich bin so müde. Um sechs Uhr früh war ich wach, das Baby wollte nicht aufhören zu trinken, und ich hätte mich gerne noch mal herumgedreht, um wieder in Schlaf zu fallen. Aber ich hatte nur die Wahl zwischen Schreien aushalten oder Stillen aushalten und dann war ich wach und wollte aus dem Bett und habe alle anderen geweckt. Morgens bin ich selten mit den Kindern zusammen, das ist nicht mein Schlafrhythmus, wirklich, aber ich mag es sehr. Das große Kind aufmerksam verschmust, vor uns Toast und Kaffee, ein in den Tag hineintröpfeln, ehe mein significant other die Kinder mitnimmt in die Kita und von da aus weiter zieht. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht wieder ins Bett zu gehen, und wenn mir das gelingt, glaube ich ich kann alles, so leer, so offen der Tag in meinem Schoß. Bis mittags wird, und ich ohne Nickerchen, bis Nachmittag wird und mir in der Kita-Garderobe die Augen zufallen.

Ich bin so müde und habe einen Ohrwurm von Hoppe, hoppe, Reiter. Dankbar, dass es nicht mehr „Da hat das rote Pferd sich einfach umgedreht“ ist (bitte, gerngeschehen). Ein Kind schläft im Kinderzimmer, ein anderes darf noch einen Ausflug in den Supermarkt machen. Ich muss heute nichts mehr machen. Neben mir ziehen grüne und braune Schwaden aus dem zart geöffneten Windeleimer in Richtung meiner Nase, am Lavendelfilm vorbei. Wenn ich hiermit fertig bin, drehe ich mich in die andere Richtung. Für mehr bin ich – zu müde.

15.1.

Ein Bad nehmen, so heiß, es ist ein Dampfbad. Eigentlich ein Ölbad, meine Ellbogen rutschen auf meinen Oberschenkeln ab, während ich tippe. Ich habe kein Thema heute, nur Dinge vor mich hin erledigt und jetzt habe ich mich daran erinnert, dass es Adiemus gibt und höre alte Adiemus-Alben und kann mitsingen, als sei nichts gewesen. Meine Ölbadekugel glitzerte kupfern und riecht nach Aftershave, das war nicht, was ich erwartete.

Apropos Erwartungen, heute sehe ich viele Diskussionen zum neuen Werbespot von Gillette und auch ich bin beeindruckt. Natürlich mit allen caveats, es ist Werbung, es will was verkaufen, das Unternehmen dahinter verkauft auch andere Dinge, die sexistisch vermarktet werden und so weiter. Und trotzdem, das war so… gut gemacht. Nicht nur gut gemeint. Ich sah vor ein paar Tagen schon die deutsche Version der Werbung zwischen meinen Timehop-Rückblenden. Sah sie mit erhobener Augenbraue, ein „Huh, interesting“, als ein Podcaster erzählt, dass er starke Frauen(tm) interviewe, die ein Vorbild für Frauen seien, und für Männer. Aber dieser Werbespot ist so viel interessanter, weil er Männern nicht nur auf die Schultern klopft, was sie Tolles machen für Gleichstellung, sondern weil er gewaltvolle Männlichkeit infrage stellt, und die Lösung: nicht heroische Akte, um Frauen und Mädchen zu beschützen, die nur in Beziehung zu Männern Bedeutung haben, sondern Alltagsinterventionen, um Gewalt von Jungs gegen Jungs zu beenden, um ein Vorbild gegenüber Jungs zu sein. Das fand ich bemerkenswert. Bei Gewalt, die von (männlichen) Zeugen gebilligt wird, #boyswillbeboys, und das fast mit Script, was man sagen kann, um dazwischen zu gehen, um Fürsorge zu zeigen gegenüber dem verfolgten/verletzten/belästigten Jungen. Ich musste denken an einen Text, den ich vor vielleicht zehn Jahren von einer Person aus der Werbebranche gelesen habe, darüber, dass Sex sells nicht stimme, sondern dass positive Emotion, verknüpft mit einer Marke, das ist, was für Marketingerfolg sorgt. Ich kann nicht lügen: ich musste mir Mühe geben, Tränen zu verkneifen, auch wenn es peinlo ist. Die Werbung funktioniert aber nicht nur als Werbung an sich, sondern auch als public service announcement zu toxic masculinity. Die Reaktion von gekränkten Typen, die die Werbung scheiße finden, weil sie ihr Verhalten nicht reflektieren wollen, spricht für sich.

Und dann kann man sich fragen, was das für feministischen Aktivismus bedeutet, wenn feministische Botschaften so in Werbung übernommen werden. In dem Fall denke ich: ein guter Anlass, um allen, die Männlichkeitsnormen infrage gestellt haben, in den letzten Jahren Jahrzehnten Jahrhunderten, Danke zu sagen. Das ist euer Verdienst, you made this possible. Weil dieser Werbespot ohne diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre, weil er insbesondere auf dem Aktivismus der letzten Jahre aufbaut. Außerdem glaube ich, Werbung in dieser Form kann ein geeignetes Medium sein, um viele Männer zu erreichen, die in ihrem Alltag nicht mit kritischer feministischer Literatur konfrontiert sind. Ganz egal, ob sie sich rasieren, oder nicht.

14.1.

Ich habe heute (endlich) Better Than Before: Mastering the Habits of Our Everyday Lives von Gretchen Rubin zu Ende gelesen. Eigentlich wollte ich jede Woche ein Buch lesen, aber das waren fast 400 Seiten, die sich in der zweiten Woche ziemlich zogen. Immerhin was gelernt. Allen Dingen voraus: I‘m not a failure. Ich muss mich nur gut genug kennen, um zu wissen, wie neue Gewohnheiten bei mir funktionieren, und nicht versuchen mich selbst ändern. Laut Rubin bin ich Obliger, Owl, Sprinter/Procrastinator, Underbuyer, Simplicity lover, Opener (hell yes!), Novelty lover, Promotion focused, Small steps lover. Das klingt so alles arg quatschi und ist wahrscheinlich vor allem eine Erinnerung für mich selbst, aber die Erkenntnis daraus ist: ich bin produktiver, wenn ich mir nicht so viel vornehme, ich schaffe Sachen leichter, wenn andere sie von mir erwarten, ich sollte mir nichts Unrealistisches vornehmen (frühmorgens aufzustehen, it’s just not my jam).

Ich erinnere mich, wie ich vor jedem Schuljahresbeginn in mein Notizbuch schrieb, was ich alles schaffen wollte, welche Note in welchem Fach, wie viel ich lernen wollte, wie ich sein wollte, und so weiter. Es verlief sich immer und ich fühlte mich unfähig und nahm mir fürs nächste Halbjahr mit noch fester zusammengepressten Fäusten noch mehr vor. An der Uni ist es oft ähnlich, ich fange zu viele Seminare auf einmal an, will viel leisten und lesen (neben allem anderen off-campus) und habe dabei immer noch das Gefühl, es reicht nicht, ich reiche nicht, so dass ich im November oder Dezember das Handtuch werde und den Beweis für meine Unzulänglichkeit habe.

Jetzt weiß ich: soft zu mir sein, kleine Häppchen, die ich schaffen kann, von denen ich anderen erzählen muss, die ich abends mache, und nicht morgens, das macht es einfacher. Das, was ich machen will, ernst nehmen, aber auch nicht so ernst, damit es nicht so schlimm ist, wenn es mal nicht klappt. Nicht alles auf einmal schaffen wollen, sondern ein paar grundlegende Gewohnheiten etablieren, auf die man dann neue, schwierigere Gewohnheiten bauen kann.  Und damit das alles geht, braucht es eine Foundation, nämlich ausreichend Schlaf, Bewegung, gutes Essen, Aufgeräumtheit. I mean, d‘uh. Aber es funktioniert gerade so gut. Kleinigkeiten, nichts überstürzen. Sehen wir in zwei Wochen weiter.

13.1.

Mir ist kalt. In jedem Zimmer, in dem was Warmes zum Drüberziehen für mich liegt, liegt auch ein Kind und schläft. Ich kurbele das Thermostat hoch, hohles Heizungssummen folgt. Während ich auf Wärme warte, räume ich im Wohnzimmer rum. Ich träume häufiger von einem Staubsaugerroboter, oder noch besser, einem Staubwischroboter. Aber ich brauche den Besen eh, zum Aufräumen, da muss ich gar nicht saugen. Ich nehme ihn nämlich, um aus allen Ecken allen Kram und Krümel in die Zimmermitte zu kehren. Dann muss ich mich nicht bücken, und kann danach sortieren, was ins Töpfchen, was ins Kröpfchen gehört.

In der Küche mache ich weiter. Fülle Bonbons in Glasdosen, stelle Gläser in die Spülmaschine. Als ich wieder ins Wohnzimmer komme, laufe ich gegen trockene Heizungsluft und rolle den Regler mit Ruck wieder auf * runter. Wie Nudelwasser kochen, erst ganz hoch, bis Schaum den Deckel nach oben trägt und auf den Herd getropft zersprotzt. Dann wieder auf Null, bis die Hitze so raussickert, dass die Nudeln mehr einweichen als kochen. Das ist okay. Ich muss heute kein Feuerchen in diesem Zimmer warm halten, ich krieche gleich zum großen Kind ins Bett. Es hat mehr Volumen, an dem ich mich wärmen kann, hat mit seinem Körper eine größere Deckenfläche gewärmt und legt vielleicht einen Arm um mich. Manchmal schäumt es auch, schlafend, auf den Lippen, und manchmal weiche ich ein, wenn es was Liebes sagt im Schlaf.

12.1.

Nachdenken über Scham. Sachen, die ich sage und dann will ich nicht mehr sprechen. Was das eigentlich ist. Dass ich den Sprung mittlerweile schaffe, schon in Gedanken, dahin, dass es nichts macht. Hab ich halt was gesagt, das ich dumm oder too much fand. Kann ich mit leben, geht schon wieder vorbei. Eine Übung. Mein privates vulnerability-Bootcamp.

Oder das Gegenteil von Scham. Ich stehe im Bad, das kleine Kind auf dem Hocker, hält die Hände unter den Wasserstrahl am Waschbecken, planscht gemäßigt, fühlt vor allem. Ich muss es nicht unterbinden, nur begleiten, also dabeistehen, damit es nicht stolpert oder spritzt. Das ist okay, aber langweilig. Ich will nicht das Zimmer wechseln, um ein digitales Endgerät für mehr Erwachsenenentertainment zu holen, ich bleibe und sehe dem Kind über den Spiegel zu. Und sehe mich. Lächle vor mich hin, bis ich merke: Ich mache mir schöne Gesichter. Halte mein Gesicht so, wie ich mir am besten gefalle, und ich gefalle mir gut. Mir ist gar nicht mehr langweilig, ich könnte mich den ganzen Tag so ansehen, mein schönes Gesicht, die Brauen, die Augen, die Brille, und so weiter. Dann erinnere ich mich an was, wie vergaben und vergessen –

Ich, gerade noch kein Teenager, sicher. Oft unsicher, immer wieder Zweifel über meinen Körper brustabwärts, keine Frage, aber dann das, eine ganze Zeit lang: Wie ich morgens zur Schule gehe, im Gymnasium, die Zeit nach der 5. Klasse, denn davor hatte ich mir noch die Zeit vertrieben mit meinem Taschenradio, eine Aboprämie vom Micky Maus Magazin, wo aus den Billo-Kopfhörern Planet Radio kratzte und immer wurden Lieder angeteasert, die erst gespielt wurden, wenn ich meinen Schulweg schon gelaufen war. Das Ding jedenfalls ging kaputt oder verloren. Ich langweilte mich auf dem Weg in die Schule und fing an, in jedes Auto zu gucken. Um mich in der Spiegelung der Autofenster zu sehen. Im Zwiegespräch mit meinem hübschen Gesicht, vom Audi zum Skoda zum Opel zum nächsten und über die Ampel wo keins stehen darf und dann auf der nächsten Straßenseite wieder weiter. Die Selfie-Culture von 1999 sozusagen, schon mit Filter.  (This shit is important.)

 

 

11.10.

Der Versuch im Gehen zu tippen, also zu sprechen, ins Telefon, ein Diktat, das ich später korrigiere. Um 2:00 Uhr nachts am Rathaus vorbei. Die Straßen glänzen regennass, ein weiter schwarzer Teich die Stadt. Niemand unterwegs, das macht es auch nicht so peinlich ins Telefon hinein zu reden. Und dabei Satzzeichen zu sagen. Punkt. Und Komma. Unterm Arm einen Kalender vom Frauenreferat, darauf auf einer Seite in großen Buchstaben: „Fass mich nicht an!“ Ich überlege, wie rum ich den Kalender halte, mit der Schrift zu mir oder als Aufforderung von mir weg. Unter dem Aufruf eine Notiz, dass 53 % Frauen mit Behinderung, die in privaten Haushalten leben körperliche Gewalt erfahren, in sozialen Einrichtungen sogar 73 %. Das ist das Kalenderblatt für den Dezember. Frohe Weihnachten, y’all. Und dann bin ich ganz alleine auf dem Rathausplatz und hinter mir fährt ein Auto von der Straße, aus der ich kam, auf den Platz auf dem sonst keine Autos fahren. Das ist schon ein bisschen gruselig.  Aber unter dem Fenster eines Souvenierladens schlägt jemand ein Nachtlager auf und ich bin nicht ganz alleine. Weiter Richtung Museum. Richtung Menschenstimmen. An der neuen Altstadt vorbei. Dieser Begriff. Ich habe sie noch nicht begriffen. Wenn die Kinder in die Schule gehen, werden sie bestimmt mal eine Führung machen und da erzählt bekommen, wieso das so aussieht wie es aussieht. So wie wir mit der Klasse hier vorbei liefen, weiter hinten und an Steinen im Boden gezeigt bekommen haben, wo mal ein Turm stand. Wo Bücher verbrannt wurden. Diese Dinge.
Ich habe heute wieder verpasst, Rumänisch zu üben. Ich falle aus dem Rhythmus. Aber der Tag war so voll, da war kein Plätzchen. Und ich habe ihn nur mit schönen Sachen verbracht. Mit Ausschlafen. Mit Duschen und Haare waschen. Mit Yoga, davor. Mit duftender Creme für die Hände, und duftendem Puder für das Gesicht. Und dann das warme weiche Ingwer-Gesicht gegen klirrende Luft halten, auf dem Weg zur Arbeit. Die heute fast keine Arbeit war, und ich so gut wie fertig für das Wochenende, nur noch mal kurz die Abstriche aus der Maschine holen, morgen. Dann, das schönste: M. treffen. Zwischenspiel feministische Abendveranstaltung vom Journalistinnenbund. Wir spazieren von Mineralwasser und Häppchen zu Wein und Pho, zu N. und L. – sich zu Hause fühlen, wo man nicht wohnt. The privilege. The pleasure.
Und dann wieder heim, nachts um zwei, das warme Gesicht in klirrende Luft halten.  Dankbar, für den Partner, der in der Zwischenzeit die Kinder ins Bett brachte, und es ist keine Frage. Schön, dass alle schlafen, aber selbst bin ich so wach. Zeit, doch noch ein bisschen Rumänisch zu üben, vielleicht. (Vielleicht auch nicht.)